Himmelfahrtskommando

Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine, PR

Eine alleinerziehende Frau kämpft sich durch. Der Ehemann ist früh verstorben. Das Kind zieht sie alleine groß. Es reicht kaum zum Leben. Also tritt sie den Marsch durch die Institutionen an – ein echtes Himmelfahrtskommando. Sozialhilfe, Wohngeld, Kindergeld usw. usw. Katja Robinson, die ehemalige Leiterin des Sozialamtes Köln hat die Abläufe ihres Zuständigkeitsbereiches analysiert. Sie fand heraus, dass eine imaginäre alleinerziehende Frau, sie nennt sie Josefine, bis zu 18 verschiedene Stellen ansteuern muss, die über das ganze Stadtgebiet verteilt waren. Terminsuche und Wartezeiten machen das zu einem Vollzeitjob. Hinzu kommt, dass viele Stellen immer wieder dieselben Unterlagen in Kopie vorgelegt bekommen möchten: Einkommensnachweise, Sozialhilfe- oder Rentenbescheide, Ausweise … und immer wieder Formulare, die selbst manche in den Behörden Mitarbeitenden überfordern. Das alles muss sie alleine stemmen und „nebenbei“ noch ihr Kind betreuen. Wie soll diese Frau aus dieser bürokratischen Hölle herausfinden? Was glauben Sie denn?

Immer wieder ist von Bürokratieabbau die Rede. Oft scheint damit die Fantasie einherzugehen, den bürokratischen Überbau selbst möglichst abzuschaffen. Viele wünschen sich die mittlerweile sprichwörtlich gewordene „Kettensäge“. Was dabei herauskommt, kann man in den USA sehen, wo Elon Musk zu Beginn der zweiten Amtszeit Donald Trumps die Bürokratie brutal beschnitten hat. Ähnliches scheint Präsident Javier Milei in Argentinien vorzuschweben. Auch hierzulande schwadronierte schon mancher davon, man müsse mehr Milei und Musk wagen. Ist die Abschaffung der Bürokratie aber eine wirkliche Lösung? Eine funktionierende Bürokratie gewährleistet schließlich eine für alle Bürger verbindliche Organisation des Staates, die einer Willkürherrschaft entgegensteht. Sie organisiert die Rahmenbedingungen der Gesellschaft als Ganzer und des Lebens der Einzelnen. Sie soll für Gerechtigkeit sorgen. Deshalb ist die Prüfung von Begehren und ihrer Berechtigung wichtig. In einer funktionierenden Demokratie sind Schutz und Fürsorge für die Schwächeren um der Gerechtigkeit willen wichtig – aber eben derer, die Hilfe nötig haben. Bürokratie ist notwendig. Aber sie muss funktionieren!

Ansätze dazu sind schon vorhanden: Jede Bürgerin und jeder Bürger erhält mittlerweile von Geburt an eine Steuer-ID. Die ist einmalig. Es ist verständlich, dass Behörden etwa bei einem Sozialhilfebegehren Auskunft über die materiellen Verhältnisse einholen. Warum aber können diese Nachweise nicht datensicher unter der entsprechenden Steuer-ID auf einem Server gespeichert werden, auf den andere Behörden zugreifen können? Man müsste die entsprechenden Dokumente dann nur noch einmal einreichen und nicht immer wieder. Warum gibt es keine Verwaltungszentren, in denen es 18 Zimmer gibt, zu denen Antragsteller in einem Haus gehen können, statt eine zeitraubende Tour durch die Stadt zu veranstalten? Warum wird vieles nicht generell automatisiert? Warum werden manche Leistungen nicht automatisch veranlasst, wie es etwa in Finnland der Fall ist, wo nach der Geburt eines Kindes das Kindergeld automatisch neben anderen Leistungen wie Mutter- und Vaterschaftsgeld gewährt wird?

Heute, dem Tag, an dem dieser Text erscheint, ist der 15. August. Die römisch-katholische Kirche feiert heute das Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel. Im Volksmund heißt es Mariä Himmelfahrt, ein Fest der Hoffnung, dass auch wir als Individuen mit Leib und Seele an der Auferstehung teilhaben. Würde Maria heute leben, wäre sie vielleicht die alleinerziehende Mutter. Ihr Mann Josef ist früh verstorben. Nach seinem Ableben muss sie neben ihrem Erstgeborenen Jesus noch dessen Geschwister versorgen – nach dem Neuen Testament sind das vier Brüder und noch weitere Schwestern. Und man stelle sich vor, bei der Aufnahme in den Himmel müsste sie jetzt noch ihre Geburtsurkunde, die Mutterschaftsnachweise, Leistungsbelege über gute Taten, eine Bescheinigung des Engels über ihr Einverständnis, den Sohn Gottes zu gebären, ihre Taufurkunde und den Firmnachweis vorzeigen und was man halt so braucht. Der Himmel ist da wohl gnädiger als die kommunale Verwaltung. Vielleicht aber hören die, die bald Chef oder Chefin der Verwaltung sein werden, in sich hinein und finden Wege, die Bürokratie effizienter zu machen. Die nämlich brauchen wir: Eine effiziente und bürgerfreundliche Bürokratie, die für die, die Hilfe brauchen, kein Himmelfahrtskommando wird.

Dr. Werner Kleine

Erstveröffentlicht  in der Westdeutschen Zeitung vom 15. August 2025.

In der Kolummne “Was glauben Sie denn?” der Westdeutschen Zeitung Wuppertal äußert sich Dr. Werner Kleine regelmäßig zu aktuellen Themen aus Kirche, Stadt und Land. Alle Texte der Kolummne erscheinen auch im Weblog "Kath 2:30":

"Was glauben Sie denn?" - Kath 2:30

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