Das Wort zur Woche (24. September 2023 - Fünfundzwanzigster Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A)

Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine, PR

Entblößungen

Liebe Leserinnen und Leser,

jedes Streben zum Himmel erhöht die Fallhöhe. Jene, die glauben, eine Weihe würde aus sich heraus das Sein eines Menschen verändern, erleben in diesen Zeiten ungewollte Desillusionierungen. Es sind nicht nur die immer offenbarer und an Zahl immer größer werdenden Missbrauchstaten von Klerikern, die die Suggestion vom Heiligen Mann zerstören; selbst höchste Würdenträger werden mittlerweile nicht nur der Vertuschung von Missbrauchstaten überführt, sondern selbst als Täter entlarvt. Die autosuggestive Überhöhung, als Geweihter über dem Irdischen zu stehen, erweist sich immer mehr als sakrale Sepsis, die die Kirche bis ins Innerste vergiftet. Noch ist die Kirche noch lange nicht so weit, sich des Giftes zu entledigen. Noch ist kein Antidot gefunden – und man wird es nicht finden, solange man an der toxischen Überhöhung Geweihter festhält, die deren Schutzpatron, der Pfarrer von Ars Johannes Maria Vianney, in klerikaler Hybris bejubelt:

„Oh, wie groß ist der Priester! … Wenn er sich selbst verstünde, würde er sterben … Gott gehorcht ihm: Er spricht zwei Sätze aus, und auf sein Wort hin steigt der Herr vom Himmel herab und schließt sich in eine kleine Hostie ein…‘Und als er seinen Gläubigen die Bedeutsamkeit der Sakramente erklärte, sagte er: ‚Ohne das Sakrament der Weihe hätten wir den Herrn nicht. Wer hat ihn da in den Tabernakel gesetzt? Der Priester. Wer hat Eure Seele beim ersten Eintritt in das Leben aufgenommen? Der Priester. Wer nährt sie, um ihr die Kraft zu geben, ihre Pilgerschaft zu vollenden? Der Priester. Wer wird sie darauf vorbereiten, vor Gott zu erscheinen, indem er sie zum letzten Mal im Blut Jesu Christi wäscht? Der Priester, immer der Priester. Und wenn diese Seele [durch die Sünde] stirbt, wer wird sie auferwecken, wer wird ihr die Ruhe und den Frieden geben? Wieder der Priester … Nach Gott ist der Priester alles! … Erst im Himmel wird er sich selbst recht verstehen.“ (Zitiert nach Benedikt XVI, Schreiben zum Beginn des Priesterjahres anlässlich des 150. Jahrestages des „Dies Natalis“ von Johannes Maria Vianney, Vatikan 2009 (Quelle: http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/letters/2009/documents/hf_ben-xvi_let_20090616_anno-sacerdotale.html#_ftnref2 [Stand: 30. September 2018])

Wo Kleriker sich dergestalt sogar über Gott erheben und ihn zum gehorsamen Erfüller degradieren, darf man sich nicht wundern, dass jedes Schuldbewusstsein fehlt. Wo solche Selbstdefinition noch durch Nichtkleriker, die sogenannten Laien, faktisch bestätigt wird, kann man für die Kirche getrost alle Hoffnung fahren lassen. Was zählt da noch das Wort Gottes, wenn die ontologisch Erhöhten definieren, was Gott zu wollen hat?

In der ersten Lesung vom 25. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahrs A spricht Gott durch den Prophet en Jesaja:

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege – Spruch des Herrn. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken. Jes 55,8f

Die Weisung Gottes ist eindeutig: Kein Mensch kennt seine Gedanken, kein Mensch kann sich auf einen vermeintlichen Status quo verlassen. Offenkundig ist der Ewige nicht statisch, sondern dynamisch. In dieser Dynamik ist er nah und fern zu gleich. Man kann ihn nicht greifen und fixieren, begreifen schon gar nicht. Wohl kann man ihn suchen, so wie der Prophet sagt:

Sucht den Herrn, er lässt sich finden, ruft ihn an, er ist nah! Jes 55,6

Wer aber aufhört zu suchen, sondern glaubt, Gott zu haben, den entlarvt der Prophet als Frevler und als Übeltäter. Wer aber gehört für den Propheten Jesaja zu diesen?

In dem Absatz, der der ersten Lesung vom 25. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A vorhergeht, befindet sich ein bemerkenswerter Appell:

Auf, alle Durstigen, kommt zum Wasser! Die ihr kein Geld habt, kommt, kauft Getreide und esst, kommt und kauft ohne Geld und ohne Bezahlung Wein und Milch! Jes 55,1

Dem Appell folgt eine entlarvende Frage:

Warum bezahlt ihr mit Geld, was euch nicht nährt, und mit dem Lohn eurer Mühen, was euch nicht satt macht? Hört auf mich, dann bekommt ihr das Beste zu essen und könnt euch laben an fetten Speisen! Neigt euer Ohr und kommt zu mir, hört und ihr werdet aufleben! Ich schließe mit euch einen ewigen Bund: Die Erweise der Huld für David sind beständig. Jes 55,2f

Die Worte des Propheten zeigen zum einen, dass das Heil Gottes nicht nur keine bloß spirituelle Verheißung, sondern eine höchst leibhaftige ist; zum anderen ist diese Verheißung für die, die sich zu Gott hinwenden, unvermittelt zugänglich. Das Heil bedarf nicht nur keiner sakralen oder klerikalen Vermittlung. Im Gegenteil: Wer für die Heilsvermittlung Güter geltend macht, scheint zu jenen Frevler zu gehören, die der Prophet zur Umkehr auffordert:

Der Frevler soll seinen Weg verlassen, der Übeltäter seine Pläne. Er kehre um zum Herrn, damit er Erbarmen hat mit ihm, und zu unserem Gott; denn er ist groß im Verzeihen. Jes 55,7

In der Gegenwart stürzen Heiliggemachte vom Sockel, ebenso weihevolle wie autosuggestive Selbsterhöhungen werden durch die Missbrauchstaten nicht weniger Kleriker als fatale Illusion entlarvt, die allzu viele Gutgläubige verführt und Missbrauch möglich gemacht hat. Sicher gibt es die unbescholtenen Kleriker; aber die Auffassung, die Weihe würde eine seinsmäßige Erhöhung bewirken, ist durch klerikale Missbrauchstaten längst als Illusion entlarvt.

Es wird deshalb Zeit, den Worten des Propheten Gehör zu schenken und umzukehren. Das gilt nicht nur für die Weihevollen, sondern auch für denen, die demütig zu den Geweihten aufschauen und sich nicht vorstellen können, dass im Priestergewand zuvorderst ein einfacher Mensch steckt. Das Erschrecken vor dieser Erkenntnis ist immer noch zu groß, wenn wieder einmal bekannt wird, dass der nette Pfarrer oder der verehrte Bischof eigentlich ein frevelhafter Täter war: Hat man sich das wirklich nicht vorstellen können? Oder wollte man es bloß nicht wahrhaben?

In der Gegenwart stürzen die Denkmäler, die Illusionen selbstgemachter Heiligkeit werden entblößt. Den von Missbrauch Betroffenen muss die Ehre zurückgegeben werden, die die, die sich selbst in den Himmel erhoben haben, ihnen genommen haben. Das Verstörende ist, dass es auch 13 Jahre nach dem Aufdecken des Missbrauchs von Schülern des Canisius-Kollegs in Berlin durch den damaligen Rektor Klaus Mertes immer noch so vielen schwerfällt, der Wahrheit ins Auge zu schauen.

Glück auf,
Ihr Dr. Werner Kleine, PR
Katholische Citykirche Wuppertal

Alle "Wochenworte" finden Sie in unserem Weblog "Kath 2:30":
"Wort zur Woche" auf Kath 2:30

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