Wir Wuppertaler sind nun doch nicht Papst geworden (304 KB). Damit kann ich sehr gut leben. Die Wahl fiel auf einen Kardinal mit einer Vergangenheit voller Bewegungen. Robert Francis Kardinal Prevost, der fortan Leo XIV genannt wird, stammt aus einer Familie mit französischen, italienischen, spanischen und kreolischen Wurzeln. Allein das ist schon „urkatholisch“, ist die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Wortes „katholon“ doch „umfassend“ oder „universell“. Das steht einer nationalen Begrenzung christlichen Lebens in sich schon entgegen. Auch die römisch-katholische Kirche, die "römisch-katholisch“ genannt wird, insofern sie dem römischen Ritus folgt, kennt keine Ausländer: Wer getauft und wer gesalbt ist, gehört voll und ganz zur Kirche, die nach dem Glaubensbekenntnis einig, heilig, apostolisch und eben katholisch, also „universell“, ist. Dem neuen Papst ist diese Art ursprünglicher Katholizität nachgerade in das Leben eingeschrieben. Vielleicht liegt hier ein Grund, warum er sich im Februar 2025 nicht scheute, dem US-amerikanische Vizepräsidenten JD Vance, der im August 2019 zum Katholizismus römischer Provenienz konvertierte, ins Angesicht hineinzuwiderstehen, als der glaubt, das christliche Gebot der Nächstenliebe hierarchisieren zu können; die beziehe sich vornehmlich auf die Familie, dann auf die Nachbarn und bestenfalls erst denn auf den Rest der Welt. Die Antwort von Robert Francis Kardinal Prevost war knapp:
„JD Vance irrt: Jesus verlangt nicht von uns, unsere Liebe zu anderen zu priorisieren.“
Nächstenliebe ist urkatholisch, eben universell. Wo auch immer „christlich“ draufsteht, sollte auch „christlich“ drin sein. Wer auch immer glaubt, das „Christliche“ verteidigen zu müssen, muss sich an der Weisung des Namensgebers orientieren. Dieser Christus aber lässt wenig Spielraum. Das alte jüdische Gebot
„Liebe deinen Nächsten, er ist wie du!“ (Lev 19,18),
das Jesus im Lukasevangelium mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter konkretisiert, führt zu dessen Auftrag an jeden wahrhaft katholischen Christen:
„Geh und handle genauso barmherzig wie der Samaritaner aus dem Gleichnis.“ (vgl. Lk 10,37
Ausnahmen oder Entschuldigungen sind da genauso wenig vorgesehen, wie die Entwicklung politischer Strategien, Menschen davon abzuhalten, überhaupt zu Nächsten werden zu können. Mauern setzen Grenzen. Sie sind nie universell. Zäune sind einfach nicht katholisch.
Der neue Papst lässt es da an klaren Aussagen nicht mangeln. Klar: Von Frieden, Einheit und Liebe zu reden, ist aus papalem Mund als solches erst einmal erwartbar. Da ist aber mehr. Es ist die Art, wie er auftritt – mit klarer und präsenter Haltung, einer offenkundig nicht gestellten Bescheidenheit, einer hörenden Zugewandtheit und einem irgendwie ungläubigem Staunen, auf diesen Platz gekommen zu sein. Sie kam in dem Moment zum Ausdruck, als er den Fischerring erhielt, dem päpstlichen Ring, den er mit einer Mischung Staunen und Neugier anschaute: Bin ich es wirklich!
Von Papst Johannes XXIII, der die römisch-katholische Kirche auf den Weg in die Gegenwart führte – auch als er das Zweite Vatikanische Konzil einberief, wird überliefert, dass er am Abend seiner Wahl zum Papst in sein Tagebuch schrieb:
„Nimm dich nicht zu wichtig“.
Ähnliches strahlt auch Leo XIV aus. Er kennt die Welt, war Bischof in Peru, kennt die Situation der Armen und derer, die am Rande stehen. Da ist auch seine Namenswahl Programm: Sein Namensvorgänger Leo XIII war ebenfalls ein politisch denkender Papst, der durch die Sozialenzyklika „Rerum novarum“ nicht nur die römisch-katholische Soziallehre formierte, sondern so auch wegweisend für die Sozialpolitik sicher nicht nur der CDU wurde: Subsidiarität und Solidarität prägten die christliche Sozialpolitik über Jahrzehnte. In Zeiten, wo selbst sich christlich wähnenden Politiker unterschiedlich nationaler Couleur Nächstenliebe hierarchisieren und Barmherzigkeit gegenüber zurückhaltend mit Zurückweisung beantworten, ist alleine schon die Namenswahl ein politisches Signal.
In Rom sitzt jetzt einer, der im wahrsten Sinn des Wortes urkatholisch ist. Ob den guten Worten noch bessere Taten folgen? Wir werden es sehen. Die ersten Zeichen jedenfalls sind vielversprechend. Es ist also wieder keine Wuppertaler geworden. Wer will auch schon nach Rom, wenn er in Wuppertal leben kann? Und außerdem: Es gibt ja auch hier genug zu tun, denen, die in welcher Weise das Christliche im Schilde führen, an die Wurzeln zu erinnern. Bleiben Sie katholisch im wahrsten Sinn des Wortes!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 23. Mai 2025.
In der Kolummne “Was glauben Sie denn?” der Westdeutschen Zeitung Wuppertal äußert sich Dr. Werner Kleine regelmäßig zu aktuellen Themen aus Kirche, Stadt und Land. Alle Texte der Kolummne erscheinen auch im Weblog "Kath 2:30":