Der Brauch der Kreuzverhüllung

Kreuzverhüllung (Foto: Klaus Herzog/Pfarrbriefservice.de)

Der Brauch, Kreuz und Bilder in der Fastenzeit zu verhüllen, ist erstmals im 12. und 13. Jahrhundert bezeugt und geht vermutlich auf Hunger- oder Fastentücher (Fastenvelen) zurück, mit denen man seit dem 11. Jahrhundert zu Beginn der Fastenzeit dem Volk den Blick auf den Altar versperrte. Der Ursprung dieser Verhüllung des gesamten Altarraumes liegt im Dunkeln. Später wurden die Tücher im Umfang verkleinert und mit Bildern der Passion Christi geschmückt (ein bekanntes Beispiel dafür ist das Zittauer Fastentuch), zusätzlich wurden Kreuze, Bilder und Statuen verhüllt. Eine erste Auslegung dieses Brauchs findet sich im 13. Jahrhundert bei Bischof Wilhelm Durandus von Mende (Südfrankreich). Die Verhüllung wird von ihm allegorisch auf Joh 8,59 hin gedeutet, als Verbergen der Gottheit Christi in der Zeit des Leidens. Eine weitere Deutungsmöglichkeit bietet sich mit Blick auf die mittelalterliche Bußpraxis an: bei der Verhüllung der Kreuze und Bilder könnte es sich um einen Gestus der Solidarität mit den vom Gottesdienst ausgeschlossenen Büßern gehandelt haben: das "Fasten der Augen" als Zeichen der Buße. An diese Interpretation schließt sich auch die Wiederbelebung der Tradition der "Hungertücher" nach der Liturgiereform in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils durch das kirchliche Hilfswerk "Misereor" an (Solidarität mit den Ländern der sogenannten "Dritten Welt"). Eine dritte Deutungsmöglichkeit sieht in der Kreuzverhüllung eine Erinnerung an die Erniedrigung des Herrn, in der Absicht, sein Bild umso tiefer den Gläubigen einzuprägen. Als feste Regelung findet sich die Verhüllung von Kreuzen, Bildern und Statuen offiziell erst im Ceremoniale Episcoporum (1. Hälfte des 17. Jahrhunderts). Im Zuge der Neuordnung der Liturgie entschied sich das Messbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebiets (1975-1979) für die Beibehaltung der Kreuzverhüllung. Die Verhüllung soll nach dem Gottesdienst am Gründonnerstagabend vorgenommen werden; auch der früher übliche Termin am fünften Fastensonntag (Passionssonntag) darf beibehalten werden. Die Kreuze bleiben bis zur Kreuzverehrung am Karfreitag verhüllt, alle anderen Bilder und Statuen bis in die Osternacht. Zur Palmprozession am Palmsonntag bleibt das Kreuz immer unverhüllt, da es liturgisch in dieser Feier Siegeszeichen ist. B. Kleinheyer hat zurecht darauf hingewiesen (Die neue Osterfeier, Freiburg 1971), dass sinnvollerweise nur die Kreuze und Bilder verhängt werden, die den in Herrlichkeit thronenden Herrn darstellen, nicht aber jene, die den Herrn in seiner Erniedrigung darstellen.

Dr. Werner Kleine