Sonderausgabe, September 2013

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„Ein Kind kommt schnell in einen Loyalitätskonflikt“

Text Gregor Elsbeck

Wenn Eltern sich scheiden lassen, sind oft Kinder die Leidtragenden, die seelischen Verletzungen und juristischen Konflikten ausgesetzt sind. Sonja-Adina Arpay, Wuppertaler Anwältin für Familienrecht, spricht im Interview über Streit ums Geld, berechnende Eltern und Sorgen über das Sorgerecht.  

Redaktion: Wie häufig sind Scheidungen im Familienrecht?

Sonja-Adina Arpay:  Das Familienrecht beschäftigt sich überwiegend mit Scheidungen, und das betrifft dann auch die Belange der gemeinsamen Kinder. Um sie wird letztlich am meisten gestritten. 

Redaktion: Zum Beispiel?

Sonja-Adina Arpay:  Es geht vor allem darum, bei wem die Kinder nach einer Trennung der Eltern leben. Das sogenannte Aufenthaltsbestimmungsrecht wird im Sorgerecht geregelt. Etwa, wenn festgelegt wird, wann und wie lange Vater oder Mutter die Kinder sehen können, die nicht bei ihnen leben. Darüber streiten sich viele Geschiedene leidenschaftlich, sehr zum Leidwesen ihrer Kinder. Ein weiterer Streitpunkt ist das Geld, also die Höhe des Unterhaltes für die Kinder. 

Redaktion: Was ist wichtig bei den Themen Geld und Unterhalt?

Sonja-Adina Arpay:  Bis das Kind volljährig ist, regelt der betreuende Elternteil um alle Geldangelegenheiten, der Unterhalt kommt vom anderen Elternteil. Dann sind beide Eltern unterhaltspflichtig, je nach Einkommen. Wenn das Kind zum Beispiel bei der Mutter lebt, trägt auch sie mit Beginn der Volljährigkeit ihren Teil zum Unterhalt bei. Das macht sich dann bei der Berechnung der Unterhaltshöhe des Vaters bemerkbar. Sich um den Unterhalt zu kümmern, ist auch Sache des volljährigen Kindes.
 

Redaktion: Die meisten Scheidungskinder sind minderjährig, haben sie ein Mitspracherecht in einem Prozess um das Sorgerecht?

Sonja-Adina Arpay:  Der Anwalt des Kindes, juristisch gesprochen: der Verfahrensbeistand, kümmert sich um alle  Belange des Kindes: Er besucht die Familie, führt Gespräche mit beiden Eltern, schaut sich die Wohnsituation an –  und spricht vor allem mit dem Kind.

Redaktion: Heißt das, dass die Kinder selbst vor Gericht nicht gefragt werden?

Sonja-Adina Arpay:  Das hängt von ihrem Alter ab. Kleine Kinder sind plötzlich mit einer Situation konfrontiert, die sie völlig überfordert. Dann wird das Kind gefragt: Wo möchtest du hin? Wie oft möchtest du wen sehen? Doch ein Kind kommt dann schnell in einen Loyalitätskonflikt. Je jünger die Kinder sind, desto mehr müssen die Eltern die Entscheidungen für sie treffen, am besten natürlich gemeinsam. Ist das Kind älter, kann es besser verstehen, was da gerade in der Familie passiert. Mit 13 oder 14 Jahren zählt es natürlich mehr, wenn ein Kind sagt, dass es lieber beim Vater leben möchte, oder aber bei der Mutter bleiben will. Der Anwalt des Kindes versucht gerade bei Jüngeren auch zwischen den Zeilen zu lesen, um diese Aspekte in das Verfahren einzubringen, die dann der Gutachter aufgreifen kann.  

Redaktion: Wie lange dauert ein solcher Prozess? Davon hängt ja auch ab, wie lange die Kinder in der Ungewissheit leben müssen, wie es für sie nach der Trennung der Eltern weitergeht.

Sonja-Adina Arpay:  Das ist ganz unterschiedlich. Ein Streit um Vermögen dauert besonders lange. Dann laufen Scheidungsverfahren auch schon mal über Jahre. Das belastet die Kinder sehr. Aber auch Sorgeumgangs- und Kindesunterhaltsangelegenheiten können langwierig sein. Die Kinder registrieren natürlich, dass die Eltern angegriffen sind. Und wenn es schlecht läuft, werden sie von den Eltern benutzt, um dem Gutachter die gewünschten Antworten zu geben.

Redaktion: Werden Kinder dann psychologisch unterstützt?

Sonja-Adina Arpay:  Die Gutachter sind entweder Sozialpädagogen oder Psychologen, damit sie sich besser in die Kinder hineinfühlen können. Trotzdem ist ein solcher Prozess für die Kleinen immer schmerzhaft, da sie beide Eltern lieben. Es ist schwierig für sie, wenn sie über den Besuch bei Papa nichts Schönes erzählen können, ohne Mama zu verletzen. Um geliebt zu werden, erzählen Kinder dann oft das, was der jeweilige Erwachsene hören möchte. So können weitere Missverständnisse entstehen, wenn die Eltern wechselseitig denken, das Kind habe es nicht gut bei dem früheren Partner. Oft verstehen die Erwachsenen gar nicht die Zerrissenheit der Kinder, und dass sie letztlich nur ihren Frieden wollen.

Redaktion: Was ändert sich Ihrer Erfahrung nach für Scheidungskinder, wenn der erziehende Elternteil eine neue Familie gründet?

Sonja-Adina Arpay:  Es steht natürlich jedem Alleinerziehenden frei, eine neue Familie zu gründen. Eine Grenze wäre überschritten, wenn etwa die Mutter das Gefühl hat, dass ihr Kind in der neuen Patchwork-Familie des Vaters vernachlässigt wird. Falls das Kind dort nicht mehr leben möchte, kann die Mutter dann das Aufenthaltsbestimmungsrecht beantragen. Vieles hängt von dem Umgang der geschiedenen Eltern ab, vor allem in der Kommunikation. Einem Scheidungskind muss es nicht schlecht gehen. Es gibt einige Eltern, die ihren Kindern vermitteln: Zwischen Mama und Papa funktioniert es nicht mehr als Paar, aber wir bleiben immer deine Eltern und sind zusammen für dich da. Du kannst zwei Sommerurlaube machen und du hast zwei Kinderzimmer.  

Redaktion: Haben sich in den vergangenen Jahren mehr Paare scheiden lassen?

Sonja-Adina Arpay:  Ich denke, nein. Aber die Vehemenz, mit der sie um die Kinder streiten, die hat zugenommen. Das Traurigste ist, dass viele geschiedene Erwachsene das Wohl ihrer Kinder vergessen, obwohl sie unter dem Deckmantel streiten: „Wir tun es für die Kinder“. Dann verfolgen sie jedoch nur ihre eigenen Interessen. Diesen Eltern ist meist gar nicht bewusst, wie sehr sie ihren Kindern schaden.

Redaktion: Dabei geht es meist um Geld?

Sonja-Adina Arpay:  Viele der Erwachsenen streiten um Geld. Oft benutzen sie das Kind aber auch als Trumpf gegen den anderen. Eine Mutter, als Beispiel, weiß genau, dass sie den Mann, der sie verletzt hat, am ehesten mit dem gemeinsamen Kind verletzen kann. 

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