Sonderausgabe, September 2013

Zurück zur Übersicht

Liebe unter Aufsicht
Sabrina und Volker aus dem Lebenshilfe-Heim am Mastweg


Sabrina und Volker haben jede Menge CD´s ihrer Lieblingssängerin Andrea Berg. 

Text und Bild Eduard Urssu

Sabrina und Volker lieben sich. Kein großes Ding, möchte man meinen. Doch welche Schwierigkeiten das Paar meistern muss, davon macht man sich kaum eine Vorstellung – bis zum ersten Kennenlernen. Es ist eine Liebe mit Hindernissen.

Verliebt, verlobt, verheiratet – mittlerweile höre ich die kindlich vorgetragene Alliteration recht häufig auf der Straße. Den vorpubertären Nachbarmädchen kommt sie wie beiläufig über die Lippen. Vorzugsweise dann, wenn andere Mädchen mit ihrer vermeintlich neuen großen Liebe aufgezogen werden sollen. Keines von ihnen macht sich glücklicherweise Gedanken darüber, wie es sich anfühlt, wenn sich das Lebenskonzept "verliebt, verlobt, verheiratet" nicht so umsetzen lässt. Wenn Liebe zwar bedeutet, dass man einen Partner gefunden hat und ihn von Herzen liebt, aber doch nicht frei in seinen Entscheidungen ist, sei es aufgrund äußerer oder innerer Bedingungen. Solch ein Liebespaar habe ich im Wohnheim der Lebenshilfe am Mastweg kennengelernt. Sabrina und Volker sind seit acht Jahren ein Paar.

Strukturen

Bevor ich Sabrina und Volker sehe, treffe ich mich zum obligatorischen Vorstellungsgespräch mit Wohnstättenleiter Thomas Pickshaus. Obligatorisch, weil vor dem Treffen mit den beiden noch einige Details geklärt werden müssen. Ich lerne etwas über die Organisation und Struktur der Wohnstätten der Lebenshilfe, und über die Lebenssituation der Bewohner. Das Büro von Thomas Pickshaus liegt mitten im Wohnstättenkomplex der Lebenshilfe am Mastweg. Dieser umfasst mehrere Hundert Quadratmeter am nördlichen Rand des Naturschutzgebietes Gelpetal. Die Wohnhäuser im Niedrigenergiestil sind großzügig auf dem Gelände verteilt. Die Bewohner sind in Wohngruppen zu sechs bis acht Personen aufgeteilt. Der Sozialpädagoge Pickshaus leitet die Wohnstätte seit zehn Jahren, er kennt alle seine Schützlinge mit Namen. Sabrina und Volker liegen ihm besonders am Herzen, ohne sie den anderen Bewohnern vorzuziehen. Aber genau genommen wohnt ohnehin nur Sabrina auf dem Gelände.

Toleranz

Der Begriff Schützlinge ist vielleicht nicht vollkommen richtig, aber er drängt sich doch auf. Schließlich wohnen auf dem Areal Menschen mit Behinderungen. Vielleicht kommt "zu betreuende Personen" der Sache schon näher. Aber nicht alle benötigen denselben Umfang an Unterstützung. „Viele der Bewohner bei uns haben das Downsyndrom, alle eine geistige Behinderung", sagt Thomas Pickshaus. In den Wohnhäusern wird auf eine Schwerpunktbildung von bestimmten Behinderungen bewusst verzichtet. Die Mischung macht´s.  Innerhalb der Wohngruppen gibt es Rollstuhlfahrer, Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen. So wird die Interaktion innerhalb der Gruppe gefördert, aber auch von den Bewohnern Toleranz den „anders“ Behinderten gegenüber eingefordert. 

Aufregung

Vom Büro bis zu Sabrinas Wohngruppe sind es nur einige Schritte. Mehrere Male werden wir von Heimbewohnern angesprochen. Kurze Gespräche über das Wetter und die Gesundheit werden geführt, immer nett, immer freundlich. Dann sind wir da. Sabrina erwartet uns bereits auf der Terrasse. Mein Besuch ist Tage vorher angekündigt worden, seitdem freut sie sich auf den Termin. Vorfreude vermischt sich mit Spannung. „Sie ist ein wenig aufgeregt“, sagt Thomas Pickshaus „vor allem, weil der Termin mit dem Fernsehteam nicht zustande kam.“ Sabrina war in der engeren Auswahl einer ARD-Dokureihe über Menschen mit Downsyndrom. Genommen wurden andere.

Eifersucht

Ihre Anspannung ist deutlich zu spüren. Häufig blickt Sabrina auf ihre Armbanduhr. Dafür muss sie ganz nah ran, sie ist stark kurzsichtig. „Und ich bin zu dick“, bringt Sabrina das Gespräch ohne Umschweife in Gang, „deshalb muss ich für fünf Wochen zur Kur.“ Sabrina ist 37 Jahre alt und weiß genau, was sie will. In diesem Moment will sie „ihren“ Volker. Der verspätet sich. Ungewöhnlich für ihn, findet Sabrina und zieht ein Mobiltelefon aus der Tasche. „Das Handy habe ich neu“, sagt sie stolz. Schon ist Volkers Stimme über den Lautsprecher zu hören. Das Gespräch wird etwas über Zimmerlautstärke geführt und am Ende ist klar: Volker hat den Termin vergessen. „Das ist ihm noch nie passiert. Aber er setzt sich jetzt in den Bus“, sagt Sabrina. So können wir schon mal über die Arbeit, ihre Freunde und Hobbys und über Volkers Eifersucht sprechen. Im Vorgespräch klang es schon an: „Sabrina flirtet ganz gerne“ hatte Thomas Pickshaus mir verraten. Das ist Volker nach acht Jahren Beziehung natürlich auch schon aufgefallen. „Aber er hat keinen Grund, eifersüchtig zu sein“, versichert Sabrina, „auch wenn der nette Hans-Jürgen ein Schlawiner ist. Aber das ist nur freundschaftlich und ich bin einfach ein netter Mensch.“

Interessen

Dann ist Volker da. Er lebt nicht in einer der Wohngruppen, sondern im betreuten Wohnen. Das bedeutet eine geringere Betreuungsdichte und mehr Eigenverantwortung. Und das kommt dem agilen 47jährigen Volker entgegen. Schließlich hat er neben der Arbeit in den Werkstätten noch zahlreiche andere Interessen, viele gemeinsam mit Sabrina. Unter anderem Fußball, auch wenn es da schwierig wird. „Ich bin Dortmund-Fan“, platzt es aus Sabrina heraus, während sie Volker herausfordernd anschaut. Dass er Fan von Werder Bremen ist, mag er in diesem Moment kaum verraten, angesichts des Tabellenstands seines Vereins. Da wird das Fußballgucken am Fernseher manchmal zur Geduldsprobe. Doch in Musikfragen sind sich die beiden wieder einig. „Wir hören gerne Andrea Berg. Die hat eine coole Stimme“, sagt Sabrina und Volker nickt zustimmend. Schnell ist einer der Hits angestimmt und bei „Die Hände zum Himmel“ ist auch Volker mit dabei. Klar, dass die beiden im Chor der Lebenshilfe singen. Auch sonst verbringen sie viel Zeit miteinander. Alle 14 Tage ist eine Übernachtung in Volkers Wohnung drin. Die schönsten Erlebnisse sind die gemeinsamen Abende, wenn Volker wieder mal ein neues Restaurant entdeckt hat. „Dann lädt er mich dorthin zum Essen ein. Da ist Volker ein richtiger Gentleman“, verrät Sabrina.

Mündigkeit

An einem dieser schönen Abende war es dann Volker, der die Initiative ergriff und Sabrina eine entscheidende Frage stellte. „In der Silvesternacht 2010 haben wir uns verlobt“, erzählt er stolz. Da ist es dann wieder: „verliebt, verlobt, verheiratet“. Für Sabrina und Volker wird der letzte Teil allerdings schwer umzusetzen sein. „Meine Mutter ist dagegen“, sagt Sabrina. Als ich nachfrage, erhalte ich wieder dieselbe Antwort: „Meine Mutter ist dagegen.“ Punkt. Fragend schaue ich Wohnstättenleiter Thomas Pickshaus an. „Es geht hier um die Frage der Mündigkeit. Eigentlich, wenn zwei erwachsene Menschen den Entschluss gefasst haben zu heiraten, dann kann man ihnen diesen Wunsch eigentlich nicht verwehren.“ Sehr viel „eigentlich“, aber tatsächlich lässt sich hier schwerlich eine einfache Lösung finden. Thomas Pickshaus führt häufig Gespräche mit den Eltern der Bewohner: „Eltern behinderter Kinder sind sehr lange Eltern und manchmal ist es für sie schwierig, ihre Kinder in die Welt zu entlassen.“ Für Sabrina und Volker spielt das Thema Trauschein keine allzu große Rolle. Viel wichtiger ist erst einmal die lange Trennungszeit von fünf Wochen Kuraufenthalt. „Ich werde Sabrina schon sehr vermissen“, sagt Volker, „aber ich kann sie ja jetzt auch öfter mal anrufen.“ Und um es nochmals zu bekräftigen, hält Sabrina ihr neues Telefon hoch.

Zurück zur Übersicht

<< Mai 2024 >>
MoDiMiDoFrSaSo
293012345
6789101112
13141516171819
20212223242526
272829303112
logisch! Zeitung der Katholischen Citykirche Wuppertal