Ausgabe 7, Dezember 2012

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Wohnst du noch oder sitzt du schon ein?
Ein nicht ganz ernst gemeinter Kommentar
zum Bau der Wuppertaler Forensik

Text Gregor Elsbeck

„Es gibt keine Kriminellen, sondern nur normale Menschen, die kriminell werden“, behauptete der geistige Vater des großen Kommissar Maigret, Georges Simenon, einmal. Würde der belgische Krimi-Autor heute noch leben, müsste man ihn mal fragen, auf wen diese interessante Erkenntnis denn im Falle des geplanten Baus der forensischen Klinik in Wuppertal zutrifft: Auf die Kriminellen, die darin behandelt werden sollen? Auf die Politiker von Stadt und Land? Oder auf die Bürger, die sich in einem Maße gegen die Behandlungsstätte für psychisch kranke Straftäter sträuben, dass man den Eindruck haben könnte, sie würden selbst vor kriminellen Tätigkeiten zur Verhinderung nicht zurückschrecken? Da würde Herrn Simenon die Antwort bestimmt ziemlich schwer fallen. Fest stehen dürfte aber in jedem Fall, dass keine dieser drei Gruppen komplett unschuldig am aktuellen Tohuwabohu ist.

Forensik?

Der Heckmeck beginnt aber schon bei der Bezeichnung der Psychiatrie für Straftäter. Im Volksmund wird sie gerne lapidar als Forensik abgekürzt, wahrscheinlich um sofort deutlich zu machen, wie wenig man von einer solchen Einrichtung hält. Der Begriff Forensik bedeutet aber eigentlich die wissenschaftliche Arbeit zur Analyse und Rekonstruktion von Straftaten, wie aufmerksame TV-Zuschauer von Serien wie „CSI: Miami“ wissen dürften.
Nehmen wir dies zum Anlass, auch einmal zu rekonstruieren und analysieren, was denn überhaupt in unserem besagten Wuppertaler Fall Sache ist: Da sich die Zahl der psychisch kranken Straftäter, im Juristenjargon elegant „Maßregelvollzugspatienten“ genannt, in den letzten zehn Jahren in Nordrhein-Westfalen um rund zwei Drittel erhöht hat, braucht es mehr Kliniken für sie. Es müssen also, so sieht es die Politik vor, bis 2020 fünf neue „Kliniken des Maßregelvollzugs“ in NRW geschaffen werden. Die unbequeme Entscheidung, wo das passiert, brauchen zum Glück nicht die ohnehin schon geschundenen Politiker zu treffen, sondern das übernehmen freundlicherweise die Landgerichte für sie. In den Landgerichtsbezirken mit dem höchsten Aufkommen an Maßregelvollzugspatienten wird eine neue forensische Klinik gebaut. Nach undurchsichtigen Bedarfsberechnungen sind das die Bezirke Münster, Essen, Bonn, Dortmund und eben unser geliebtes Wuppertal, das aber auch in letzter Zeit von Nichts verschont bleibt. Als diese Entscheidungen Ende Oktober von NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens bekannt gegeben wurden, regte sich fast überall bei den Bürgern der betroffenen Städte Widerstand.

Ein Krankenhaus!

Jawoll, es ist die Gesundheitsministerin, die hier verantwortlich zeichnet, nicht etwa ihr Amtskollege aus der Justiz, denn auch wenn die schönen Fenster einer solchen forensischen Klinik mit Gittern verziert sind und böse Menschen in ihr vereinigt werden, handelt es sich doch noch in erster Linie um eine Klinik. Ein Krankenhaus. Was haben die ganzen Bürger also gegen ein neues Krankenhaus in ihren Städten? Krank sein ist allzu menschlich. Da kann man doch nicht einfach den Kranken ihre Chance auf medizinische und psychologische Behandlung nehmen, oder? Aber die Gegenfrage lautet, ob man den mehr oder weniger gesunden Bürgern eines freien Staates innerhalb ihrer Städte das ungeschriebene Recht auf ein befreites Leben ohne tägliche Angst über eventuell ausgebrochene (Geistes-)Kranke nehmen darf. Die Politik sagt ja, die Bürger selbst sagen nein. Mit am stärksten die Bürger von Wuppertal, einer Stadt, die das Verneinen gewohnt ist. Deshalb gründeten sie umgehend zwei Bürgerinitiativen gegen den Bau des ungeliebten Krankenhauses. Wer meint, das eine doch auch gereicht hätte, der liegt daneben. Es gibt nicht nur die allgemeine Bürgerinitiative „Kleine Höhe“, benannt nach einem der zwei möglichen Standorte der Klinik, sondern auch die Elterninitiative „Keine Forensik in Wuppertal“. Ihre Absicht: Gar keines dieser psychiatrischen Gefängnisse zulassen!

Ein Kompromiss?!

Die Politik ist sich über die Zulassung selbst aber schon längst einig, nur der letztendliche Standort ist noch ungewiss. Neben der baulich schwierigen Kleinen Höhe ist nämlich auch noch Lichtscheid im Gespräch, wenn auch nicht bevorzugt. Doch wieso macht man nicht aus zwei Nöten eine Tugend? Ein fast ebenso umstrittener Neubau in Wuppertal ist doch die IKEA-Filiale im naturreichen Norden der Stadt. Die Lösung, damit sich die Verschandelung der Natur und der erhöhte Lärm für die Anwohner auch lohnen und das Forensik-Problem direkt mitgelöst wird: Einfach in die Höhe bauen! Ein neuer Hochhauskomplex könnte dann dort IKEA und die forensische Klinik beherbergen. Der Einrichtungsmarkt hat meist eh keine Fenster, durch die die Maßregelvollzugspatienten ausbrechen könnten und zur Therapie der Sträflinge können sie gleich als Verkäufer bei IKEA mitarbeiten. So gelingt die Wiedereingliederung in die Gesellschaft schneller und besser.

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