Ausgabe 13, Dezember 2014

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Noch hat es niemand mit dem goldenen Kalb aufgenommen
Der kritisierte Textil-Discounter Primark möchte in den neuen repräsentativen Döppersberg einziehen, so manchem Wuppertaler gefällt das nicht.

Text Lutz Debus

Zwei Fotos. Auf den ersten Blick ähneln sie sich. Große Betonbrocken, Steinplatten und Moniereisen türmen sich zu einem unheimlichen Gebilde. Während aber das eine Foto in diesem Sommer entstand und die Abbrucharbeiten an der Baustelle am Döppersberg illustriert, stammt das andere aus dem vergangenen Jahr. Am 24. April 2013 stürzte in Bangladesch in der Stadt Sabhar eine Textilfabrik ein, und begrub die darin schuftenden Näherinnen und Näher. 1127 Menschen kamen dabei ums Leben. Zwei also gänzlich verschiedene Bilder? Bei näherer Betrachtung drängen sich erschreckende Parallelen auf. Doch was hat die Neugestaltung unseres Stadtzentrums mit den skandalösen Arbeitsbedingungen in Asien zu tun? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Dafür ist ein Blick in die Zukunft nötig.

Eine Stadt erfindet sich neu. Dieser Eindruck entsteht, wenn man den Kurzfilm „360° Döppersberg – Impulse für Wuppertal“ anschaut, auf der Webseite www.doeppersberg.info. Zu einer synthetisch-dynamischen Musik, die als Endlosschleife dargeboten wird, zeigen sich historische Gebäude neben Bauwerken, die es noch gar nicht gibt. Die Motive der Planer sind dabei durchaus edel. Der Hauptbahnhof führt seit dem Wiederaufbau nach dem Krieg ein Schattendasein. Die B7 als Hauptverkehrsachse schnitt das repräsentative Gebäude von dem Stadtzentrum ab. Nur ein armseliger Fußgängertunnel aus den 1950er Jahren schuf eine Verbindung zwischen Bahnhof und Fußgängerzone. Der Wuppertaler Volksmund taufte diese hohle Gasse wegen ihres oft sehr penetranten Geruchs wenig poetisch auf den Namen „Harnröhre“. Dass nun die Fußgänger ans Tageslicht und an die frische Luft gebracht werden und der Autoverkehr unterirdisch verlaufen soll, ist also durchaus löblich.

Einweihung 2020

Allerdings gibt es zu diesem Bauprojekt auch kritische Stimmen. Noch im vergangenen Monat bemängelte der Bund der Steuerzahler die immensen Kosten und besonders deren Explosion, die mit dem Projekt Döppersberg verbunden sind. Statt der veranschlagten 105 Millionen Euro, die der Umbau kosten sollte, rechnet die Stadtverwaltung nun mit mehr als 140 Millionen. Mit 1,6 Milliarden Euro Schulden schreibt die Schwebebahnstadt seit Jahren tiefrote Zahlen und könne sich, so der Bund der Steuerzahler, solch ein Projekt gar nicht leisten. Auch die lange Dauer der Bauarbeiten und die Konsequenzen für den Straßenverkehr in der Stadt sorgen für erheblichen Gesprächsstoff. Die Fertigstellung des neuen Döppersbergs war ursprünglich für 2017 geplant. Inzwischen ist klar, dass vor 2020 mit einer Einweihung nicht zu rechnen ist. Die komplette Sperrung der B7, noch bis vor kurzem zwar kein Staats-, aber doch ein Stadtgeheimnis, erscheint zwar sinnvoll, um weitere Kosten zu vermeiden und nicht noch mehr Zeit zu verschwenden. Diese Sperrung aber sorgt zu den Stoßzeiten für ein ritualisiertes Verkehrschaos. Nicht nur der Einzelhandel, sondern alle Wuppertalerinnen und Wuppertaler leiden unter der Stilllegung der Magistrale.

Publikumsmagnet und Filetstück

Der Umbau wird aber irgendwann einmal abgeschlossen sein, und auch seine Kosten werden dann nur noch als weiterer Hügel im Schuldengebirge der Stadt wahrnehmbar sein. Was aber ist mit Elberfeld geschehen, wenn die virtuelle Vision von „360° Döppersberg – Impulse für Wuppertal“ Wirklichkeit geworden ist? Viele neue Geschäfte sollen sich um den Hauptbahnhof herum ansiedeln. Der sogenannte Investorenkubus, ein mehrstöckiges Einkaufszentrum gleich neben dem Bahnhofsgebäude, soll nicht nur als Publikumsmagnet dienen, sondern auch Geld in das leere Stadtsäckel spülen. Das Grundstück, auf dem das Einkaufsparadies entstehen soll, gehört noch der Stadt und wird als städtebauliches Filetstück gut zu verkaufen sein. Ein Teil der Kosten des Döppersberg-Umbaus könnte so wieder eingenommen werden. Bislang ist man sich mit dem irischen Investor Signature Capital aber über Detailfragen noch nicht einig geworden. Die Stadt gehe davon aus, dass der Rat im Dezember eine Grundsatzentscheidung fällen wird, so Stadtpressesprecherin Martina Eckermann.

Stein des Anstoßes ist für viele Wuppertaler inzwischen aber der Plan, eine Filiale des Textildiscounters Primark in dem Investorenkubus unterzubringen. Diese Kette steht für billigste Kleidung und ist deshalb besonders beim jungen Publikum sehr beliebt. Der Wunsch, sich trotz knappen Taschengeldes stets aktuell kleiden zu können, ist weit verbreitet. T-Shirts für weniger als drei und Jeans für weniger als zehn Euro locken die Kunden in Scharen an. Um diese Preise möglich zu machen, lässt Primark seine Produkte unter menschenunwürdigen Bedingungen in sogenannten Billiglohnländern fertigen. Der Einsturz des Fabrikgebäudes in Sabhar war da nur die Spitze des Eisberges. Die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken in Bangladesch sind mit denen in Elberfeld und Barmen zu Zeiten Friedrich Engels durchaus zu vergleichen. Bis zu 15 Stunden täglich müssen Menschen für einen Monatslohn von etwa 50 Euro schuften. Der Mindestlohn wurde zwar im vergangenen Jahr nach der Katastrophe von Sabhar erhöht, die Inflation aber machte diese Errungenschaft in wenigen Monaten wieder zunichte. Gewerkschaftsarbeit ist in Bangladesch wie auch in China, dem anderen großen globalen Textilproduzenten, stark eingeschränkt.

Die beiden großen regierenden Parteien in Wuppertal sehen keine Chance, Einfluss auf die Vermietung des Investorenkubus zu nehmen. Es „…kann und darf nicht Aufgabe der Politik sein, dem Investor vorzuschreiben, welche Mieter in das von ihm erbaute Objekt einziehen dürfen“, so CDU-Fraktionsvorsitzender Michael Müller. Ähnlich äußerte sich der Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Ulf Klebert: „Grundsätzlich bewerten wir die Arbeits- und Produktionsverhältnisse der Textilzulieferbetriebe, die vornehmlich in Asien angesiedelt sind, kritisch. Der Einfluss der Kommunalpolitik auf diese Produktionsbetriebe tendiert allerdings gegen null.“ Auch Müller sieht die „menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen“, die die „Wegwerfmentalität fördert“ und „gegen jedes Gebot der Nachhaltigkeit verstößt“. Aber auch er meint, dass diese Situation auf anderen politischen Ebenen geändert werden muss. Die Partei Bündnis90/Die Grünen sieht das ganz anders. „Die Stadt Wuppertal muss mit dem Investor vertraglich regeln, dass sich ausschließlich Unternehmen dort ansiedeln dürfen, die sich verpflichten, in ihrer Produktionskette soziale Standards wie die der ILO- Kernarbeitsnorm (Vermeidung von ausbeuterischer Arbeit und Kinderarbeit etc.) einzuhalten. Bei der Firma Primark muss der Beweis über die Einhaltung dieser Standards allerdings noch erbracht werden“, so die Stellungnahme der Fraktion. Auch die Wählergemeinschaft für Wuppertal (WfW) kritisiert die Ansiedlung von Primark. „Es kann und darf nicht sein, dass so ein Billigmarkt das Eingangstor zu unserer Stadt verschandelt“, so Doro Glauner von der WfW. Natürlich könnte der Rat Planungsvorgaben beschließen, die kleinere und auch fair-handelnde Geschäfte begünstigen würde. Nur hätte dies vielleicht auch fatale Auswirkungen auf der Einnahmeseite des Kämmerers. Könnte ein örtlicher Uhrmacher oder Florist die gleichen Grundstückspreise bezahlen wie ein internationaler Investor?

„Austauschbare Billiganbieter“

Aber auch von anderer Seite bekommen CDU und SPD Gegenwind für ihre Politik zu spüren. Die Interessengemeinschaft der Elberfelder Geschäftswelt IG1 wünscht sich „eine Einzelhandelslandschaft, die eine Abstrahlkraft im Sinne eines Leuchtturms hat.“ Dies sei mit „austauschbaren Billiganbietern“ nicht umzusetzen. Die IG1 befürchtet außerdem, dass im angrenzenden ehemaligen Gebäude der Bundesbahndirektion ein Outlet-Center angesiedelt wird. Statt inhabergeführter Einzelhändler würden dann multinational auftretende Billiganbieter das Stadtbild dominieren. Diese Tendenz allerdings ist nicht nur in Wuppertal zu beobachten. Nicht nur Primark, auch andere Modeketten, die übrigens unter ähnlich fragwürdigen Bedingungen ihre Produkte fertigen lassen, bestimmen das Erscheinungsbild der Einkaufsstraßen unseres Planeten. Und leider ist bislang in der Neuzeit weder vom Döppersberg noch von einem anderen Berg ein Moses herabgestiegen, um es mit diesem goldenen Kalb aufzunehmen.

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