Ausgabe 17, Juni 2016

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Brennende Sorge und steigendes Befremden

Text Tim Neumann

Die Stimmung kippt: Während rechtsextreme Aussagen immer gesellschaftsfähiger werden, brennen bereits Flüchtlingsheime. In der öffentlichen Debatte stehen sich die verschiedenen Meinungen unvereinbar gegenüber. Wohin führt diese Polarisierung des politischen Klimas?

Bautzen, 21. Februar: Der Dachstuhl des Hotels und Restaurants „Husarenhof“ steht in Flammen. Gegen halb vier am frühen Morgen wird die Feuerwehr gerufen. 70 Feuerwehrleute brauchen mehrere Stunden, um das Feuer unter Kontrolle zu bringen. Schaulustige beobachten die Löscharbeiten. Nur wenige Stunden später wird die Polizei von „abfälligen Bemerkungen“ und „unverhohlener Freude“ der 20 bis 30 Schaulustigen sprechen. In dem Hotel sollten ab März 300 Flüchtlinge leben. Das Feuer wurde gelegt.

„Bald wieder da, wo wir 1933 waren“

„Wir sind an einem Punkt angekommen, wo man sagen kann: Wenn es so weitergeht, sind wir bald wieder da, wo wir 1933 waren“, beschreibt Esther Bejarano die aktuelle Situation in Deutschland in einem Interview mit dem Bayrischen Rundfunk. Die 91-Jährige Jüdin hatte den Holocaust in Ausschwitz überlebt. 71 Jahre nach ihrer Befreiung aus dem Konzentrationslager zieht das Bundeskriminalamt Bilanz: 2015 gab es 1.005 Straftaten gegen Flüchtlingsheime, fünfmal mehr als im Vorjahr, und 173 Brandanschläge auf Flüchtlingsheime, 15-mal so viele wie 2014. Allein im vergangenen Januar erfasste das BKA zehn Gewalttaten gegen Flüchtlingsheime.

Für den Sozialwissenschaftler Alexander Häusler sind diese Zahlen Beleg für eine Verschärfung des Rassismus in Deutschland: „Dieser Anstieg ist exorbitant und er setzt sich auch weiter fort.“ Häusler ist Sozialwissenschaftler und arbeitet zum Forschungsschwerpunkt „Rechtsextremismus und Neonazismus“ an der Hochschule Düsseldorf. Neben der physischen Gewalt habe sich auch das Meinungsklima zugespitzt: „Das wird an Simplifizierungen und auch einer Verrohung der politischen Diskussionskultur deutlich. Das, was auf dem rechten Feld als Sagbares oder als Ausdruck von Meinungsfreiheit verstanden wird, nimmt deutlich menschenfeindliche Züge an“, sagt Häusler und führt als Beispiel die Alternative für Deutschland an. Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry etwa hatte in einem Interview gefordert, dass Polizisten bei illegalem Grenzübertritt von Flüchtlingen als Ultima Ratio „auch von der Schusswaffe Gebrauch machen“ sollten.

Emotionalisierte Polarisierung

„Wir beobachten zurzeit eine sehr stark emotionalisierte Polarisierung um das Flüchtlingsthema. Es gibt zwei Seiten: Neben der zunehmenden rechten Eskalation gibt es ein deutliches Eintreten für die Willkommenskultur“, so beschreibt Häusler das aktuelle politische Klima. Grund für diese Polarisierung sei eine Krise der politischen Repräsentation: Viele Menschen fühlten sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten. Diese Polarisierung werde in sozialen Netzwerken und Blogs beschleunigt. „Sie führen auch zu einer zunehmenden Enthemmung und Radikalisierung in der politischen Artikulation, weil User dort nur noch unter ihresgleichen kommunizieren.“ Die eigene Meinung werde so schnell als Meinung der Allgemeinheit wahrgenommen.

Mit Blick auf die Polarisierung fragte die Journalistin Anne Will in ihrer Sendung die Bundeskanzlerin: „Schlittert Deutschland in ein zweites Weimar?“ Merkel verneinte dies. Auch Alexander Häusler warnt vor diesem historischen Vergleich: „Der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts stellt in einer globalisierte Welt eine ganz andere Situation dar als die Weimarer Republik, in der Nationalismus in einem eben nicht vereinten Europa die Weltkriege auslöste, und damit auch zu den nationalsozialistischen Verbrechen geführt hat.“ Doch obwohl es damals andere Grundvoraussetzungen gab, sieht Häusler im zunehmenden Rassismus und in der Europafeindlichkeit historische Analogien.

Déjà-vu

Noch deutlicher werden die Gemeinsamkeiten im Vergleich mit der Situation Anfang der 1990er-Jahre. Unter anderem in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda zündeten rechtsextreme Randalierer Flüchtlingsunterkünfte an, riefen nationalistische Parolen und behinderten die Arbeit der Feuerwehr – auffällige Parallelen zu der brennenden Unterkunft in Bautzen. „Diese Ereignisse erscheinen mir wie ein trauriges Déjà-vu zu der pogromartigen Stimmung in den 90er-Jahren, als auch im Kontext des Balkankriegs die Flüchtlingszahlen rapide angestiegen sind und von Seiten der Politik der Notstand herbeigeredet wurde, wenn nicht die Asylgesetze verschärft würden.“ Eine Reaktion der Politik, die Häusler auch heute beobachtet: „Zurzeit findet unter dem Druck rechter Populisten ein Zurückrudern statt, das die zunehmend multikulturelle Gesellschaft in Frage stellt. Es werden Töne laut, man wolle diese Entwicklung zurückdrehen.“

Inwiefern das Zurückdrehen gelingt, hängt laut Häusler vor allem von der politischen Lösung der Ursachen ab. Solange keine kurzfristigen Lösungen präsentiert würden, bleibe die Debatte um die Flüchtlingspolitik das Topthema in der öffentlichen Diskussion und werde sich weiter verschärfen: „Die rassistisch motivierten Proteste befinden sich in einer Eskalationsschraube. Diese Proteste drohen in pogromähnliche Vorfälle auszuufern. Soweit sind wir aber noch nicht.“

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