Ausgabe 17, Juni 2016
Dr. Till Magnus Steiner ist katholischer Theologe. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Exegese des Alten Testamentes. Er lebt und arbeitet zur Zeit in Jerusalem.

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Weizenernte, Torah und Käsekuchen
Das jüdische Wochenfest als Hintergrund des Pfingstfestes

Text Dr. Till Magnus Steiner

Als ich Ministrant war, gehörte zu unserem Gewand eine Plakette, die wir in jeder Messe trugen und die auf ihrer Vorderseite die Brotvermehrung zeigte. Einmal im Jahr, an Pfingsten, drehten wir die Plakette um, denn auf der Rückseite war eine Darstellung des Pfingstereignisses zu sehen: die Ausgießung des Heiligen Geistes über die Jünger Jesu. Alttestamentlich betrachtet wäre es eigentlich sinnvoller gewesen, die Darstellung des Pfingstereignisses das ganze Jahr als Vorderseite zu tragen und nur an Pfingsten die Plakette umzudrehen. Denn an Pfingsten feiert man die Weizenernte. Das Christentum feiert nicht das Pfingstfest, sondern was an Pfingsten geschehen ist.

Die neutestamentliche Erzählung beginnt mit den Worten: „Als der Pfingsttag gekommen war […]“ (Apostelgeschichte 2,1) und verweist damit auf den jüdischen Ursprung des Festes. In der deutschen Bezeichnung „Pfingsten“ kann man mit etwas Phantasie noch die eigentliche Bedeutung wiedererkennen: Es ist der fünfzigste Tag (griechisch: πεντηκοστή ἡμέρα, gesprochen: pentēkostē hēméra). Im Buch Deuteronomium heißt es nach der Beschreibung des Pessachfestes, der Erinnerung an den Auszug aus Ägypten: „Du sollst sieben Wochen zählen. Wenn man die Sichel an den Halm legt, sollst du beginnen, die sieben Wochen zu zählen. Danach sollst du dem Herrn, deinem Gott, das Wochenfest feiern und dabei eine freiwillige Gabe darbringen, die du danach bemisst, wie der Herr, dein Gott, dich gesegnet hat.“ (Deuteronomium 16,9-10). Nach sieben mal sieben Tagen, am fünfzigsten Tag, beginnt Shavuot, das jüdische Wochenfest. Der hebräische Name שבועות, (gesprochen: schawuot) bedeutet „Wochen“ und zeigt an, dass mit dem Fest eine Zeitperiode endet. Im Alten Testament wird es auch „Fest der Ernte“ genannt (siehe Exodus 23,16) und gemäß dem Buch Levitikus wird es mit einem Speiseopfer gefeiert: „Bringt als Erstlingsgaben für den Herrn aus euren Wohnsitzen zwei Brote dar, gebacken aus zwei Zehntel Efa Feinmehl mit Sauerteig.“ (Levitikus 23,17). Nachdem zu Pessach in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten nur ungesäuertes Brot gegessen werden durfte, bringt das Volk seinem Gott nun Brote aus Sauerteig als Opfer dar. Die Brote sind ein Symbol für die Sesshaftwerdung Israels im verheißenen Land.

Zwar hat Shavuot einen bäuerlichen Charakter, doch zugleich ist es eng mit dem Tempel in Jerusalem verbunden. Es zählt neben dem Pessach- und dem Laubhüttenfest zu den drei Wallfahrtsfesten, zu denen in biblischer Zeit jeder Jude zum Tempel reisen musste. Aber im Unterschied zu den anderen beiden Festen – an Pessach wird der Auszug aus Ägypten gefeiert und am Laubhüttenfest wird die Wüstenwanderung erinnert –, ist das Shavuot-Fest biblisch mit keinem geschichtlichen Ereignis verbunden. Erst in dem nicht in der Bibel enthaltenen Buch der Jubiläen, das vermutlich im 3. oder 2. Jahrhundert v. Chr. entstand, wurde seine geschichtliche Bedeutung erstmals niedergeschrieben: „Sie sollen in diesem Monat das Wochenfest einmal im Jahr feiern, zur Bundeserneuerung in jedem einzelnen Jahr.“ (Buch der Jubiläen 6,17). Gemeint ist der dritte Monat des jüdischen Kalenders, indem gemäß dem Buch Exodus das Volk nach dem Auszug aus Ägypten an den Sinai gelang, wo ihnen die Torah (das Gesetz bzw. die Lehre Gottes) offenbart werden sollte (siehe Exodus 19,1). So deuteten später die Rabbinen das Wochenfest als den Tag, „an dem die Torah verliehen wurde.“ (Babylonischer Talmud, Pesachim 68b). Nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n. Chr durch die Römer verlor der Aspekt des Erntedanks und der Wallfahrt an Relevanz. Diese Bedeutung trat dann im säkularen Zionismus wieder in den Vordergrund. Vor allem in den frühen Kibbutzim (ländlichen Kollektivsiedlungen in Palästina, später Israel) gewann Shavuot als Erntefest wieder an Bedeutung. Mit großen Traktoren-Paraden und geschmückten Wagen wurden und werden die landwirtschaftlichen Erträge gefeiert – die Erträge des Landes, in dem biblisch gesprochen Milch und Honig fließen.

In der Bibel stehen Milch und Honig für die grundlegende Ernährung von Kindern sowie für das Süße und Angenehme. Im Hohelied heißt es zum Beispiel: „Von deinen Lippen, Braut, tropft Honig; Milch und Honig ist unter deiner Zunge […].“ (Hohelied 4,11). Mit diesem Bild beschreibt der Geliebte die Süße der Küsse seiner Geliebten. In der rabbinischen Auslegung wurde daraus ein Hinweis auf die Torah Gottes, die süßlich mit ihren Worten im Mund der Glaubenden liegt. So wurde aus dem Erntefest, an dem die Offenbarung der Torah gefeiert wird, das „Fest des Käsekuchens“. In vielen jüdischen Familien in Israel ist es ein fester Brauch, an Shavuot ein Stück Käsekuchen zu essen. In der christlichen Tradition wird das Pfingstereignis oft als Geburtstag der Kirche bezeichnet. Vor diesem Hintergrund wäre doch eigentlich ein Käsekuchen der passende Geburtstagskuchen.

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