Ausgabe 15, September 2015

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Brennpunkt Wuppertal
Ein Lob der Provinz

Für die einen nur ein Trafohäuschen, für die anderen die perfekte Leinwand. Manchmal braucht es nicht viel, um etwas aufzuwerten. (Anmerkung des Fotografen: Die Junioruni ist auch ganz nett) Foto: Christoph Schönbach

Text Dr. Werner Kleine

Was ist das für eine unterschätzte Stadt, in der wir leben? Wuppertal! Das ist für viele das Synonym für Provinzialität. Natürlich macht Erwin Lottermann, Loriots Lottogewinner, seine Boutique in Wuppertal auf – wo denn sonst? Die Polonaise, die in Blankenese beginnt, diesem schmucken Vordorf Hamburgs, mit dem unverkennbar hanseatisch vornehm nach vorne ragenden Riechorgan im Namen, geht natürlich an das hintere Ende – bis hinter Wuppertal. Wahrlich: Wuppertal – das ist ein Synonym für Provinzialität. Wuppertal – das ist offenkundig zwar nicht die Stadt am Rektum der Welt. Aber es wird wenigstens der Anschein erweckt, als könne man es von hier aus sehen.

Der Eindruck ist umfassend. Er ist unauslöschlich in das Bewusstsein der Zeitgenossen eingebrannt. Wuppertal ist Provinz. Kann denn aus Wuppertal überhaupt etwas Gutes kommen? Selbst als die Gesamtschule Barmen den Deutschen Schulpreis 2015 gewinnt, wird – offenkundig bar jeder Ortskenntnis – im Deutschlandfunk am 10. Juni 2015 sofort hinzugefügt: „Die Schule liegt in einem sozialen Brennpunkt.“

Für Ortskundige ist diese Information neu. Es sei denn, Wuppertal ist als Ganzes ein riesiger sozialer Brennpunkt.

Tatsächlich brennt es in diesem Tal. Es brennt schon lange, das Feuer der Leidenschaft und der Ideen. Wuppertal und seine Urstädte Barmen und Elberfeld, Cronenberg und Ronsdorf, Vohwinkel und Langerfeld, aber auch die Vororte Beyenburg, Dönberg und Schöller, waren und sind Zeugen eines kreativen Geistes, der sich so nur in der Frische der Provinz entwickeln kann. Feuer braucht Sauerstoff zum Brennen. Und kreative Geistesfrische ist das Feuer dieser Stadt, deren heutige Stadtteile Barmen und Elberfeld in der Mitte des 19. Jahrhunderts die höchstindustrialisierten Städte Deutschlands waren. Hier fanden kluge Köpfe zuerst Antworten auf die drängenden sozialen Fragen, die sich aus der industriellen Revolution ergaben. Friedrich Engels, Johann Gregor Breuer und Adolf Kolping fanden im Tal der Wupper die Inspiration für ihre großen Ideen. Vielleicht kann nur in der Enge des Tals die Kreativität gedeihen, die das weltbekannte Tanztheater von Pina Bausch hervorbringen konnte. In dieser Stadt bleiben Ideen keine Ideen. Die Menschen in diesem Tal sind Menschen der Tat. Die Junior-Uni und die Nordbahntrasse zeigen in der Gegenwart, dass Visionen keine Utopien bleiben müssen.

Man muss aber gar nicht auf die großen Leuchtturmprojekte schauen. Es waren immer schon die Hinterhöfe entlang der Wupper, die den Alltagsgenies das Refugium für ganz pragmatische Lösungen boten. Dieser Genius prägt die Bewohner dieser bemerkenswerten Stadt bis heute. Ein Freibad ist marode und kann nicht mehr genutzt werden? Gut, dann macht man eben Pool im Pool wie im Mirker Bad. Eine Kirche wird innen eingerüstet und muss saniert werden? Gut, dann nutzen wir das Gerüst, um zu tun, was man sonst niemals tun kann: Man lässt Engel im Raum schweben – wie weiland bei einer Ausstellung in der Laurentiuskirche. Und wenn im Szeneviertel um den Laurentiusplatz mittwochs wenig los ist, dann machen die Wirte im Luisenviertel eben selbst Party für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Diese Stadt sprüht vor Kreativität. Manch einer schäumt dabei auch schon mal über. Wenn etwa nicht schnell genug stadtweit freigefunkt werden kann, zeigt der Wuppertaler eine andere, nicht weniger charakteristische Seite. Der Wuppertaler an sich ist ein kritischer Geist. Nichts, aber wirklich nichts, bleibt vom Stahlbad kritischer Hinterfragung verschont. Das Moppern ist Teil des kreativen Genius’ dieser Stadt. Und das, was in diesem Fegefeuer fehlender Eitelkeiten geläutert wurde, ist wirklich von Bestand. Das ist anstrengend, aber auch qualitätssteigernd. Deshalb wollen viele – selbst von denen, die diese Stadt erst auf den zweiten Blick schätzen lernten – nicht wirklich weg. Die Menschen hier sind Kohlemenschen: Es braucht Zeit, bis man miteinander warm wird. Dann aber glüht es lange.

Anders ist es im nahen Rheinland. Man ist schnell Feuer und Flamme, aber ebenso schnell ist die Begeisterung auch wieder verglüht. Strohmenschen halt. Während dort der Klang einer Triangel zu einem großen Gong aufgebläht wird, schämt man sich hier, von der Schönheit des metallischen Klangs der Ambosse, die diese Stadt groß gemacht haben, zu erzählen. Und überhaupt: Fließt der breite Strom des Rheins nicht nur deshalb, weil er sich von wild wogenden Flüssen wie der Wupper speist?

Es ist die Provinz, die all das hervorbringt. Warum sollte man sich ihrer schämen? Manch einer, der westlich vom Haspel geboren wurde, behauptet gar, er sei eine rheinische Frohnatur, während die Osttaler die nüchterne Sachlichkeit Westfalens im Blute hätten. Dabei ist diese Stadt mehr als ein Bindestrich. Sie ist bergisch, eine Metropole in einer besonderen Region. Köln hätte die Schwebebahn haben können. Wuppertal hat sie. Aber was der Rheinländer verspricht, das muss der Westfale halten. Beide küssen sich in Wuppertal. Und weil küssen schwanger macht, ist hier der Ort, wo Ideen zur Wirklichkeit geboren werden.

Was ist das für eine bemerkenswerte Stadt, in der wir leben? Wuppertal! Keine Stadt im Dornröschenschlaf, aber eine Stadt, die selbstbewusster sein darf. Brennpunkt Wuppertal? Auf jeden Fall. Hierhin gehört der Fokus der Aufmerksamkeit. Wenn schon die Schweizer nach Barmen schauen und kaum ein Auto ohne Wuppertaler Hilfe fährt; wenn im Wuppertal Institut bundesweit beobachtet an Wegen für eine nachhaltige Gesellschaft geforscht wird. Und wenn selbst Börne und Thiel, die Helden des Münsteraner Tatortes, immer wieder zum Dreh nach Wuppertal kommen. Wuppertal ist der Tatort für Ideen. Ein echter Brennpunkt. Gelobt sei die Provinz! Wuppertal, mach’ was draus!

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