Ausgabe 12, August 2014

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„Wir haben ein großes Problem in der Vergangenheit gehabt!“
Was leistet die Stabsstelle Prävention und Intervention im Erzbistum Köln?

Text Eduard Urssu

Sexueller Missbrauch an Schutzbefohlenen innerhalb der Kirche und ihren Institutionen steht seit den Neunzigerjahren verstärkt im Fokus der Öffentlichkeit. Der Mut von Betroffenen, über ihr Schicksal offen zu sprechen, ermutigte weitere Opfer sich zu zeigen. Die vielen Meldungen über Missbrauchsfälle veranlassten im Jahr 2010, den Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin, Pater Klaus Mertes, einen offenen Brief zu schreiben, mit dem er eine große öffentliche Debatte auslöste. Im selben Jahr griff die Deutsche Bischofskonferenz das Thema auf und überarbeitete ihre Leitlinien zum Umgang mit Missbrauchsfällen. Ein Ergebnis im Erzbistum Köln war der Aufbau der Stabsstelle Prävention.

„Wir haben ein großes Problem in der Vergangenheit gehabt“, sagt der Leiter der Stabsstelle, Oliver Vogt. „Vor allem im Hinblick auf den Umgang mit den Missbrauchsfällen wurden in den letzten Jahren systematische und transparente Vorgehensweisen im Umgang mit solchen Meldungen eingeführt und automatisiert.“ Der Sozialarbeiter hat viele Jahre mit Obdachlosen, Kindern und Familien gearbeitet. Er war in der Jugendgerichtshilfe tätig und hat bis 2005 das katholische Jugendamt in Wuppertal geleitet. Seit 2011 ist er im Erzbistum Köln der Präventionsbeauftragte und seit 2012 Leiter der Stabsstelle. Vogt weiß, wie wichtig es ist, „die Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren. Dass dies nicht von jetzt auf gleich geschehen kann, ist aber auch klar.“ Auf die Frage, ob die Probleme bisher verkannt wurden, antwortet er ausweichend: „Natürlich wurden Einzelfälle sehr ernst genommen. Aber eine systematische Vorgehensweise, unter Einbeziehung der bisherigen Erfahrungen, die gab es bis dato nicht.“

Systematische Aufklärung

Aus diesem Mangel heraus startete das Erzbistum Köln im Herbst 2012 ein groß angelegtes Präventionsprogramm. Alle Honorarkräfte und fest angestellten Mitarbeiter, die in ihrer Arbeit für das Erzbistum mit Kindern zu tun haben, müssen seitdem einen Präventionskurs besuchen. „Hier werden unter anderem Täterstrategien aufgezeigt. Wichtig ist auch die Sensibilisierung der Mitarbeiter. Wichtig ist es, dass sie die Signale, die Kinder und Jugendliche aussenden, wenn sie betroffen sind, erkennen und entsprechend handeln können“, erklärt Oliver Vogt. In Schulungen werden Beratungs- und Verfahrenswege aufgezeigt, an denen bis Dezember 2013 mehr als 38.000 Personen teilnahmen. Zusätzlich hat das Erzbistum in den vergangenen Jahren zahlreiche Anlaufstellen geschaffen, die Missbrauchsfälle bearbeiten und an die Stabsstelle weiterleiten.

Arbeitsrechtliche Konsequenzen

Analog zur Bundesregelung fordern die kirchlichen Arbeitgeber von ihren Mitarbeitern seit 2012 ein erweitertes Führungszeugnis ein, selbst von den Ehrenamtlern. „Das ist manchmal schwer zu vermitteln“, räumt Oliver Vogt ein, „gerade weil es sich um Menschen handelt, die ja ‚nur’ helfen wollen. Dabei muss mit sehr viel Fingerspitzengefühl argumentiert werden. Schließlich wird hier kein Generalverdacht ausgesprochen, aber, nur um ein Beispiel zu nennen, haben Kommunionkatecheten einen sehr intensiven Kontakt mit jungen Menschen. Da steht die psychische und physische Unversehrtheit der Schutzbefohlenen immer an erster Stelle.“ Bislang sind 20.000 Führungszeugnisse gesichtet. Aber „nur in einem Fall gab es einen einschlägigen Eintrag“, weiß Oliver Vogt. Dieser Mitarbeiter wurde umgehend entlassen.

Verfahrenswege

Das heißt aber nicht, dass jede Meldung über einen möglichen Missbrauch sofort zur Beurlaubung oder gar zur Entlassung eines Mitarbeiters führt. „Wir nehmen jeden Fall sehr ernst. Aber es handelt sich hier um über ein hochsensibles Thema, das für beide Seiten irreparable Schäden nach sich ziehen kann“, erklärt der Leiter der Präventionsstelle. Mit einer Vorverurteilung sei niemandem geholfen. Im Gegenteil, in Fällen von unberechtigten Verdächtigungen würden diese die Beschuldigten und deren vermeintliche Opfer schädigen, und zwar nachhaltig. Der Leiter der Präventionsstelle weiß aus Erfahrung, „solch einen Makel bekommen sie nie wieder weg.“

Niederschwelliges Angebot

Im vergangenen Jahr gingen 57 Anrufe über Verdachtsfälle in den Präventionsstellen des Erzbistums ein. Die Meldungen deckten ein breites Spektrum ab, von Grenzüberschreitungen bis hin zu Missbrauch. In einigen Fällen wurde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, zum Beispiel in dem strafrechtlich relevanten Bereich von Exhibitionismus. „Einen schwerwiegenden Missbrauchsfall von sexualisierter Gewalt gab es aber glücklicherweise nicht“, erinnert sich Oliver Vogt. Allerdings, und da musste die Stabsstelle ihr Konzept zeitnah erweitern, „gingen über unsere Kontaktstellen einige Meldungen über nicht-sexualisierte Gewalt ein. Das ist, beziehungsweise war nicht originär unsere Aufgabe. Daher haben wir unser Aufgabenfeld um die Bereiche Koordination und Beratung erweitert. So vermitteln wir auch zwischen den einzelnen Abteilungen.“ Dies wurde durch die Namensänderung im Juni dieses Jahres in Stabsstelle „Prävention und Intervention“ dokumentiert.

Transparenz

Auch der Umgang mit Fällen von Missbrauch in der Kirche ist ein anderer geworden, zumindest im Erzbistum Köln. In der Präventionsstelle werden alle Meldungen dokumentiert und statistisch erfasst. Allerdings arbeitet die Stabsstelle noch an einem praktikablen System der Erfassung der Meldefälle. „Hier gibt es ein chronologisches Problem. Wenn ein Verdachtsfall gemeldet wird, dann kann sich der Abschluss der Untersuchung bis in das Folgejahr ziehen. Aber eines ist klar, wir haben nichts zu verbergen und werden es auch nicht tun. Alle Fälle, die belegt sind und letztlich zu strafrechtlichen Konsequenzen führen, werden auch über die Pressestelle des Erzbistums weitergeleitet. Meist folgt eine Veröffentlichung in den Medien“, so Oliver Vogt. In jedem Fall sind die aktualisierten Meldedaten auf der Internetseite des Erzbistums Köln www.erzbistum-koeln.de einsehbar.

Gesamtgesellschaftliche Pflicht

Die Präventionsschulungen waren aber nur der erste von vielen Schritten. Mittlerweile sind diese Sensibilisierungsmaßnahmen in die Grundausbildung der kirchlichen Mitarbeiter integriert worden. Ein weiterer Schritt betrifft eine andere Gruppe. Künftig werden nicht nur Kinder und Jugendliche in den Fokus genommen, sagt Oliver Vogt: „Schließlich haben wir es auch mit vielen erwachsenen Schutzbefohlenen zu tun. Daher arbeiten die NRW-Bistümer und die Caritas derzeit an einem Präventionskonzept für alle Altenheime und Behinderteneinrichtungen.“ In der Präventionsarbeit sieht Oliver Vogt die kirchlichen Institutionen gesamtgesellschaftlich derzeit am besten aufgestellt: „Wir haben in den vergangenen drei Jahren wesentlich mehr geleistet, als andere Stellen. Auch wenn wir noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Aber daran arbeiten wir kontinuierlich.“ Ein vergleichbares Engagement würde sich Oliver Vogt auch an anderen Stellen wünschen. „Hier ist die gesamte Gesellschaft in der Pflicht. Zum Beispiel in Sportvereinen oder in anderen Gruppen, in denen Kinder und Jugendliche organisiert sind, würde ich mir mehr Präventionsarbeit wünschen“, appelliert Oliver Vogt.

Information

Die Stabsstelle Prävention und Intervention ist telefonisch unter 0221-1642-1500 erreichbar. Die Postanschrift ist: Erzbistum Köln – Generalvikariat, Stabsstelle Prävention und Intervention, Marzellenstraße 32, 50668 Köln. E-Mail: praevention@erzbistum-koeln.de.

Ab September ist die aktualisierte Broschüre der Stabsstelle Prävention und Intervention in den Einrichtungen des Erzbistums Köln erhältlich.







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