Ausgabe 12, August 2014

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Ein langer Weg zum Langen Tisch
Über Wuppertal, die Wuppertaler – und eine spezielle Beziehung

Text Janina Kusterka

Gibt man bei Google „Wuppertal ist“ ein, dann schlägt die Suchmaschine als Fortschreibung erst asozial vor, dann hässlich und an dritter Stelle schön. Diese Vorschläge spiegeln das Bild wider, das die Googlenutzer von Wuppertal haben. Und sie zeigen das Verhältnis der Wuppertaler zu „ihrer“ Stadt, ein ganz spezielles nämlich. Sie lieben ihre Stadt und haben doch mit Wuppertal manchmal so gar nichts am Hut.

Kölner lieben ihren Dom, Hamburger machen kehrt, wenn der Michel außer Sichtweite gerät, Münchner müssen stets den Viktualienmarkt in der Nähe wissen und Berliner verehren ihre Stadt als Gesamtwerk. In Berlin werden Unzulänglichkeiten zum Charakter verklärt. Berlin sei arm, aber sexy. Doch was in der Hauptstadt funktioniert, hat noch lange keinen Einfluss auf die Hauptstadt des Bergischen Landes. Hier ist traditionell alles anders. Obgleich es in Wuppertal die Bewegung „I ♥ W“ gibt, trifft man selten einen Wuppertaler Lokalpatrioten. Im Grunde seines Herzens ist der Wuppertaler eben kein Wuppertaler. Er ist Elberfelder. Oder Barmer, oder Unterbarmer. Oder Cronenberger. Oder Vohwinkler. Ein alteingesessener Elberfelder betritt Barmen nur im Ausnahmefall. Die Schwebebahn ist das einigende Element, das zumindest Vohwinkel, Elberfeld und Barmen gewissermaßen zusammennäht. Wie eine Nadel sticht die Schwebebahn durch die Ösen ihrer Haltstellen und näht so unermüdlich die Talachse zusammen. Zumindest bis 23 Uhr.

Völker aller Länder

Wuppertals Zersplitterung ist historisch gewachsen. Im frühen Mittelalter trafen die Sachsen aus dem Osten auf die Franken im Westen. Wo sich heute Elberfeld von Barmen trennt, verlief früher die Grenze zwischen diesen beiden Völkern. Statt Sachsen und Franken trennt die Grenze heute Westfalen vom Rheinland. In Wuppertal treffen nun rheinische Frohnaturen auf westfälische Gemüter. Bis 1929 waren die rheinischen Elberfelder und die westfälischen Barmer jeweils mit eigener Stadt erfolgreich. Bis die preußische Gemeindereform vorsah, Gemeinden zusammenzulegen. Barmen, Cronenberg, Elberfeld, Ronsdorf und Vohwinkel sollten fortan eins sein.

Faust für Fortgeschrittene

So wurde ein neuer Name gefunden und aus fünf Städten wurde Wuppertal. Die Presse sprach damals von einer Zwangsehe. Elberfeld und Barmen waren große Konkurrenten und sollten fortan zusammengehören. Nach und nach gewöhnten sich die Einwohner an die neue Situation. Goethes Faust fühlte zwei Seelen, ach, in seiner Brust. In der Brust der Wuppertaler schlagen, ach, fünf Seelen. Doch eine immer ein bisschen lauter als die übrigen. In der Brust von Sebastian Rupp schlägt die Elberfelder Seele mit geschätzten 120 Dezibel: „Ich bin Elberfelder. Mit Barmen habe ich nichts zu tun. Das Zentrum Wuppertals, das ist Elberfeld.“ Nicht immer ist die Seele der Elberfelder ganz so laut und ein Barmer würde sicher das Gegenteil sagen. Aber da treffen wir auf das nächste Problem. Rein geschichtlich verstehen sich Elberfelder und Barmer nur schlecht.

Babylon

Ein Szenario von „Babylonischer Sprachverwirrung“ geisterte durch die Artikel vor der Gemeindereform. Barmer und Wuppertaler sprachen zwei verschiedene Sprachen. Neben der Rheinland-Westfalen-Grenze verläuft auch die Benrather Linie nahe an Wuppertal vorbei. Diese ist die Grenze, bis zu der sich im Mittealter die zweite Lautverschiebung des Mittelhochdeutschen vollzog. Wer jetzt denkt, das hat heute doch keinen Einfluss mehr, der irrt. Bis heute trennt die Benrather Linie den hochdeutschen Raum vom nördlichen Niederdeutsch. Südlich machen die Bewohner eine Feier, nördlich maken sie eine Fier.

Insofern ist es erstaunlich, dass die Wuppertaler nach einem so langen Weg der historischen Verschiedenheit, eine gemeinsame Feier wie den Langen Tisch begehen. Das Fest, in diesem Jahr zum 85-jährigen Bestehen der Stadt, war wie die Stadt selbst. Es gab kleine Gemeinschaften, die für sich vor den Häusern saßen, Vohwinkler, die in die weite Welt nach Barmen gingen. Es gab Barmer, die in Elberfeld feierten. Sogar Sebastian Rupp, der Elberfelder, verließ seinen Kiez und erkundete den Langen Tisch erstmals Richtung Barmen. Und es gefiel ihm. Die Schwebebahn fuhr die ganze Nacht und so war Wuppertal zumindest in dieser Nacht eins. Das Wuppertaler Herz konnte in einem Takt schlagen, die Musik gab den Beat vor. Alleine hätte die Schwebebahn die Stadt natürlich nicht zusammenhalten können. Die Wuppertaler selbst, die oft über ihre Stadt schimpfen, lieber mehr wie Düsseldorf sein wollen oder wie Köln, die mangelnde kulturelle Angebote beklagen und sich über die maroden Gebäude ärgern, lieben ihren Stadtteil, ihr Quatier. Und dann gab es am Langen Tisch noch etwas, das alle Stadtteile einte: den Regen. Was bislang noch nicht zusammengewachsen ist, das wächst vielleicht doch noch zusammen. Der Regen wird seinen Teil dazu beitragen. Wuppertal ist schließlich noch jung. Was sind schon 85 Jahre im Vergleich zu den Jahrhunderten der Römerstädte? Da ist noch Zeit. Auf den zweiten Blick kann man es nämlich doch sehen: die Wuppertaler lieben ihre Stadt.

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