Ausgabe 12, August 2014
Der Journalist Øle Schmidt lebt und arbeitet in Lateinamerika und Deutschland.

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So hat die Kirche auch heute ein großes Problem!
Eine Gegenrede zu Oliver Vogt, der im Auftrag des Erzbistums Köln die Präventionsstelle zu sexuellem Missbrauch leitet

Ein Kommentar von Øle Schmidt

Wie bitte?

Also, jetzt noch mal langsam und zum Mitlesen, vielleicht löst sich dann ja der Knoten im Kopf.

„Wir haben ein großes Problem in der Vergangenheit gehabt. Vor allem im Hinblick auf den Umgang mit den Missbrauchsfällen wurden in den letzten Jahren systematische und transparente Vorgehensweisen im Umgang mit solchen Meldungen eingeführt und automatisiert.“
Ich weiß nicht, ob Oliver Vogt in der Lage ist, diese verschwurbelten Bürokrazismen verständlich zu machen. Zumindest sollte er das, denn sie kommen ja aus seinem Munde. Und der Sozialarbeiter leitet schließlich im Auftrag des Erzbistums Köln die „Stabsstelle Prävention und Intervention”, wie es in bestem Bundeswehrjargon heißt.
Vielleicht ist die Frage auch eine ganz andere: ist der Bistumsangestellte Vogt überhaupt willens, Klartext zu reden? Denn es kommt noch schlimmer in dem Gespräch, das der logisch!-Autor Eduard Urssu mit ihm geführt hat, und das auf Seite 6 nachzulesen ist.
Vogt sieht die Kirche ganz weit vorne bei dem Versuch, sexuellem Missbrauch vorzubeugen. Vollmundig behauptet er: „Wir haben in den vergangenen drei Jahren wesentlich mehr geleistet, als andere Stellen.“ Um dann von hinten durch die Brust ins Auge von eben jenen Anderen mehr Prävention einzufordern: „Hier ist die gesamte Gesellschaft in der Pflicht. Zum Beispiel in Sportvereinen oder in anderen Gruppen, in denen Kinder und Jugendliche organisiert sind.“

Wow! Dieser Abschuss von Nebelkerzen, in deren Rauch sich das eigene Versagen in Luft auflösen soll, ist ein Skandal. Denn die an sich richtigen Ideen verkommen zur Strategie, die Jahrzehnte lange Verantwortung der Kirche für sexuellen Missbrauch aus dem öffentlichen Blickfeld zu nehmen. Was noch schwerer wiegt: die Aussagen von Oliver Vogt sind beschämend. Für die vielen Jungen, Mädchen und Jugendlichen, die von kirchlichen Würdenträgern gewaltsam ihrer Würde beraubt worden sind.
Der Ton des Präventionsbeauftragten ist schlicht zu laut, er ist kalt und bürokratisch. Ihm fehlt etwas, was helfen könnte, sich seriös zu entschuldigen und vielleicht sogar entschuldet zu werden; eine Tugend, die irgendwie aus der Mode gekommen scheint: Demut. Und zwar aufrichtig geäußert – und nicht mit heißer Nadel in die „Wir-über-uns-Rubrik“ auf der Internetseite der Stabstelle Prävention eingearbeitet. Denn es kann nicht um öffentliche Schadensbegrenzung der katholischen Corporate Identity gehen, oder um die Rettung eines Jesus-notierten Unternehmens mit Namen Kirche; nein, es kann nur um Demut und um Mitgefühl gehen.
Übrigens: Auch unter den fast – einhundertachtzigtausend – Menschen in Deutschland, die allein im vergangenen Jahr die katholische Kirche verlassen haben, sind Missbrauchsopfer und ihre Angehörigen. Allerdings noch viele andere, die den Glauben an den institutionalisierten Glauben offensichtlich verloren haben. Das Wort vom Exodus scheint da nicht mehr fern.

Oliver Vogt wünscht sich mehr Engagement der Anderen in Sachen Prävention von sexuellem Missbrauch. Ich wünsche mir den Mut der Kirche, sich mit ihren Strukturen und Glaubenssätzen zu beschäftigen, und sich nicht einseitig auf pädagogische Prävention und kriminalistische Sanktion zu verlassen.
Die „Stabsstelle schonungslose Selbstkritik“ könnte kurz nach ihrer Einsetzung Anfang des kommenden Jahres die ersten Briefe ’rausschicken. An Laien und Priester, an Gläubige und Ungläubige, an Lebensweltler und Akademiker. Eine Einladung, sich an einer Zukunftswerkstatt zu beteiligen, die sich dem Thema Prävention anders nähert.

Die Fragen könnten lauten: Gibt es eine moralische Komplizenschaft in der katholischen Lehre? Was tun mit der von vielen Menschen identifizierten Körper- und Lustfeindlichkeit? Gäbe es weniger Missbrauch, wenn das Zölibat fiele? Welchen Einfluss haben männliche Dominanz in Strukturen und Bibelexegese? Gäbe es weniger Gewalt, wenn Frauen einen gleichberechtigten Platz einnähmen, auch als Priesterinnen? Und: Könnte eine dezentrale Organisation der Kirche und ihrer Basis das normale Umschlagen von Macht zu Allmacht verhindern?

Sich diesen Fragen zu stellen, würde Mut voraussetzen und vor allem: Demut.

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