Ausgabe 12, August 2014

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Die Lebensmittelretter
Beim Foodsharing in Wuppertal gilt: Nehmen ohne Reue

Text Janina Kusterka

Teilen ist das neue Haben. Carsharing setzt sich zunehmend durch, auch die Give-box in der Luisenstraße und der Bücherschrank auf dem Laurentiusplatz zeigen es: Wuppertaler teilen. Und seit November 2013 gibt es im Tal Foodsharing. Hier werden Lebensmittel nicht nur geteilt, sondern gerettet. Paul Meyer erklärt, was den Reiz des Teilens ausmacht, und warum wir dem Konsumsystem etwas entgegensetzen sollten.

Wir werfen dreißig bis fünfzig Prozent unserer Lebensmittel weg. Die ersten überstehen nicht einmal den Weg vom Feld zum Hof, da sie währenddessen verfaulen. Die nächsten werden aussortiert, weil sie nicht der Norm entsprechen: dreibeinige Möhren, krumme Gurken, zu knollige Kartoffeln. Misfits wird solch völlig natürlich gewachsenes Gemüse genannt. Doch die Verbraucher kaufen lieber genormtes Gemüse, und Möhren mit nur einem Bein werden darum kaum von Supermärkten eingekauft. Auch den Lebensmitteln, die den Supermärkten frisch und wohlgeformt genug sind, droht die Tonne. Werden sie nicht rechtzeitig verkauft, landen sie zusammen mit dem Brot und den fast abgelaufenen Lebensmitteln im Müll. Und selbst Lebensmittel, die es bis in den Kühlschrank zu Hause schaffen, werden vom Endverbraucher nicht verbraucht sondern weggeschmissen. Während im südlichen Afrika laut den Zahlen von Global food losses and food waste die Menschen lediglich sechs Kilogramm Lebensmittel im Jahr wegschmeißen, sind es in Europa und Amerika 95 bis 115 Kilogramm. Und das pro Jahr und Kopf.

Nur Milch und Öl kauft er noch

„Foodsharing ist so unglaublich toll, weil die Wegwerfgesellschaft krank ist“, sagt Paul Meyer. Er hat gerade sein Abitur gemacht und engagiert sich seit dem Frühling beim Food-sharing in Wuppertal. „Es ist doch schrecklich, sein unzubereitetes Abendessen in der Mülltonne zu sehen,“ ergänzt Paul. Seit ihm dies klar ist, kauft er nicht mehr ein wie früher. Er nutze das, was Supermärkte oder Privatpersonen im Fair-Teiler des Foodsharing abgeben oder er geht Containern. Beim Containern sucht er in den Mülltonnen der Supermärkte nach weggeworfenen Lebensmitteln. Lediglich Milch und Öl kauft er ab und an, das findet er selten im Müll. Ansonsten isst Paul das, was gerade bei Foodsharing angeboten wird, er nutzt die Zutaten als Inspiration und kocht daraus ein Essen. Jedes Mal anders. Kochen werde zu einem kreativen Schöpfungsprozess, der keines Rezeptes bedürfe, sagt Paul.

Paul rettet Lebensmittel

Als Lebensmittelretter fährt Paul zu Supermärkten und holt dort ab, was sonst in der Mülltonne landen würde. Markus Zöllner, der Initiator des Projektes in Wuppertal, sagt, es sei schwer, die Leiter der Supermärkte zu überzeugen, ihre Reste dem Foodsharing zu überlassen. Ausnahme sei etwa Kaufpark, der auch schon an die Tafeln abgebe. Die geretteten Lebensmittel werden aus den Märkten in den sogenannten Fair-Teiler gebracht. Ob Banker oder Punker – wirklich jeder darf dorthin kommen, um sich eine Tüte Lebensmittel kostenlos mitzunehmen. Die meisten kommen jedoch nicht, weil sie vom Konzept überzeugt sind und nachhaltiger leben wollen. Es sind viele Bedürftige, beobachtet Paul. Schon bevor eine Lieferung aus den Supermärkten ankommt, warten viele Menschen auf dem Platz vor dem Café Stil-Bruch in der Marienstraße. Hier hat das Foodsharing sein Zuhause gefunden. Immer montags, mittwochs und freitags ist jeder ab 13 Uhr eingeladen, Lebensmittel zu retten. Viele haben jedoch nicht den Blick für die Problematik. „Dem Essen ist es egal, ob man den Gedanken versteht, uns macht es die Sache schwieriger. Wir müssen aufpassen, dass nicht einer alles weghamstert“, erklärt Paul die Schwierigkeiten beim Verteilen der Nahrungsmittel.

Können Semmelknödeln die Welt retten?

Ist Foodsharing das langersehnte Rezept zur Weltrettung? Das wäre wohl zu ehrgeizig gedacht. Paul aber möchte durch das Foodsharing zu einem nachhaltigeren Leben beitragen. Und er hat ganz nebenbei gelernt, dass er Mohrrüben selbst dann noch essen kann, wenn sie außen schon schwarz sind. Man müsse sie nur schälen und schon seien sie wieder schick, erklärt er. Pfirsiche hingegen sollte man doch besser wegschmeißen, wenn sie allzu matschig sind. Joghurts sind meist auch nach dem Ablaufdatum noch eine ganze Zeit genießbar. Man müsse ein wenig aufmerksam sein und sich im Zweifel auf seine Nase verlassen. „Im Supermarkt kann man auch noch kurz vor Ladenschluss aus einem gut gefüllten Brotregal unterschiedliche Sorten auswählen. Wir haben deswegen auch immer Brot übrig“, sagt Paul. Wegschmeißen kommt für die Lebensmittelretter natürlich nicht in Frage. Entweder wird das Brot an Tiere verfüttert oder man macht es wie Paul, und verarbeitet die übrig gebliebenen Brötchen zu Semmelknödeln. „Wir alle sollten viel mehr Semmelknödeln essen“, sagt Paul und lacht. Vielleicht könnten dann ja Semmelknödeln die Welt retten, zumindest ein bisschen.

Teilen ist wichtig für Paul, auch über das Foodsharing hinaus. Teilen ist Teil seines Lebens. Der Besitzer des Stil-Bruchs schenkte Paul ein Fahrrad, er hatte es übrig. Und Paul hatte Zeit übrig. Was Paul nicht braucht, verschenkt er. Oder er nimmt, wenn jemand etwas nicht mehr braucht. Kaufpark braucht seine Lebensmittel nicht mehr und gibt sie her. Ein Konzept, bei dem es nicht darum geht, dafür auch etwas zurückzubekommen. Ressourcen sollen sinnvoll verteilt werden. Es geht nicht darum, alles eins zu eins zu tauschen, sondern ums Teilen. Wer hat, der gibt. Und wer braucht, der nimmt. In vielen Lebensbereichen lassen sich Güter so fair verteilen. Und man kann sie nehmen, ganz ohne Reue.

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