Ausgabe 11, Dezember 2014

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Burnout ist out
Langeweile demnächst neue Volkskrankheit?

Text Eduard Urssu
Grafik Christoph Schönbach

Immer schneller, immer mehr Aufgaben, immer und überall erreichbar – unsere Welt ist vielfältiger, aber auch stressiger geworden. Der moderne Mensch wird auf Höchstleistung getrimmt. Doch immer mehr Menschen können diese Anforderungen nicht erfüllen, zumindest nicht dauerhaft. Rund vier Millionen Deutsche leiden mittlerweile an Depressionen. Seit Anfang 1990 haben sich die Krankmeldungen aufgrund psychischer Überbelastung verdoppelt.

In diesem Zusammenhang macht ein Begriff die Runde: Burnout. Die Übersetzung aus dem Englischen „ausgebrannt sein“ steht für „Man hat sich für ein Projekt völlig verausgabt!“. Das 21. Jahrhundert ist eben nichts für „Weicheier“ und „Warmduscher“. Der moderne Mensch leistet immer mehr als 100 Prozent, zu jeder Zeit. Wer dem Druck nicht standhält, der steht am Rand der Leistungsgesellschaft. Es ist ein schleichender Prozess, der lange unerkannt bleibt und leicht in einer Depression mündet. „Es beginnt ganz banal“, weiß Olaf Bick, Leiter des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) für seelische Gesundheit in Wuppertal. Der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie war lange Jahre Oberarzt in der Klinik Stiftung Tannenhof und betreut nun in Wuppertal Menschen mit psychischen Erkrankungen. „Müdigkeit, ganz einfache Müdigkeit. Es beginnt ganz schleichend. Natürlich, jeder fühlt sich einmal müde. Aber wenn dieser Zustand über Wochen andauert, dann muss der Ursache auf den Grund gegangen werden“, sagt Olaf Bick.

Kein Einzelfall

Andauernder Stress belastet das ganze System. Beginnend beim menschlichen Organismus, bis hin zum gesellschaftlichen Gefüge. Dauerstress macht krank. Wer krank ist, der bleibt zu Hause. Fast zehn Millionen Krankheitstage, so zählen AOK und Deutsche Rentenversicherung, sind Erwerbstätige aufgrund von Erschöpfungszuständen allein im Jahr 2010 der Arbeit fern geblieben. Das sind umgerechnet 40.000 „Erschöpfte“, die über das ganze Jahr im Job fehlen. Jede Berufssparte ist betroffen. Was früher als „Managerkrankheit“ nur den Topverdienern unserer Gesellschaft vorbehalten war, hat mittlerweile Krankenschwestern, Kurierfahrer und selbst Schüler und Studenten erreicht. Nach Untersuchungen des Robert Koch-Instituts erkrankt jeder fünfte Deutsche zwischen 18 und 65 Jahren irgendwann an einer Depression. Umgerechnet auf Wuppertal sind das knapp 40.000 Menschen. Allein die Klinik Stiftung Tannenhof nimmt pro Jahr bis zu 1.000 Wuppertaler mit der Erstdiagnose „Depression“ auf.

Modebegriff?

Der Begriff Burnout ist bereits seit den 1970er-Jahren bekannt. Der Psychoanalytiker Herbert Freudenberger machte die Beobachtung, dass Mitarbeiter von Hilfsorganisationen nach Phasen der Überbelastung sprichwörtlich „ausgebrannt waren“. „Tatsächlich ist aber Burnout keine Diagnose, sondern ein Modebegriff und beschreibt Probleme der Lebensbewältigung. So wird Burnout auch im Anhang der Internationalen Klassifikation der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geführt. Dabei können sich hinter Burnout ganz unterschiedliche Krankheiten verbergen, etwa Parkinson oder Multiple Sklerose. In einer älteren Fassung der WHO-Klassifikation wurde der Begriff des ‚Vegetativen Erschöpfungssyndroms’ geführt. Meiner Meinung nach, trifft die Beschreibung dieser Symptome auf die heutigen Burnout-Patienten zu“, sagt Olaf Bick.

Stigmatisierung

Doch warum wird ständig von „Burnout“ gesprochen? Ein Grund dafür ist eine mögliche Stigmatisierung der Kranken. Wer an einer psychischen Krankheit leidet, ist, umgangssprachlich ausgedrückt, nicht ganz richtig im Kopf. Wer psychisch krank ist, bleibt tendenziell gefährdet. Wer Grippe, Masern oder selbst Syphilis hat, nimmt Medikamente und wird gesund. Therapiedauer? Wenige Tage bis zu drei Wochen! Eine psychische Erkrankung hingegen haftet den Betroffenen womöglich über Jahre an, weit über die Behandlungsdauer hinaus. „Dabei ist eine Depression gut zu behandeln“, weiß Olaf Bick. „Selbst schwere Erkrankungen können mit einer kombinierten Behandlung in zwei bis drei Jahren überwunden sein. Im Gegensatz dazu muss ein Patient mit Bluthochdruck ein Leben lang Medikamente nehmen.“

Horst Schlämmer-Phänomen

Trotzdem, der Begriff Burnout hält sich hartnäckig, weiß Olaf Bick: „Wenn jemand eine koronare Herzerkrankung hat, dann sage ich ihm doch nicht ‚Kind, Du hast Herz’. Das ist nicht nur falsch, das ist gefährlich. Deshalb sage ich dem Patienten mit einer psychischen Erkrankung auch nicht: ‚Du hast Burnout’. Wir sollten mit dem Begriff Depression offen umgehen, weil wir sonst Gefahr laufen, bei der Behandlung zu wenig für den Patienten zu tun. Am Arbeitsplatz haben mittlerweile so viele Menschen Burnout, dass sich der Depressionspatient davon nicht richtig abgrenzen kann.“

Langeweile löst Burnout ab?

Doch die Begriffsverwirrung seitens der WHO hat noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht, spekulieren Gesundheitsexperten. So sieht es auch der ärztliche Leiter des MVZ’s: „Wenn es so weiter geht, dann haben wir in der nächsten Aktualisierung der WHO-Klassifikation die Krankheitsbegriffe ‚Trauer’ und ‚Langeweile’ stehen. Das ist eine Entwicklung aus den USA, die viel Phantasie abverlangt.“ Letztlich sind Trauer und Langeweile auch „nur“ Anpassungsschwierigkeiten. Zeitlich begrenzt, fallen diese auch nicht weiter auf. „Über einen längeren Zeitraum hingegen, können sie Symptome für eine Depression sein. Kein Burnout, keine Langeweile, keine Trauer – wenn es eine Depression ist, dann muss sie auch so benannt werden.“

Risikogruppe(n)

Eine Depression kann jeden treffen, weiß Olaf Bick: „Früher nahmen wir an, dass das Haupterkrankungsalter zwischen 40 und 60 Jahren liegt. Heute wissen wir, dass die Patienten immer jünger werden, zumindest im statistischen Schnitt.“ Eine besorgniserregende Häufung der Krankheitsfälle im Laufe der Jahre würde Olaf Bick trotzdem nicht bedenkenlos unterschreiben: „Wir diagnostizieren heute genauer und erkennen Krankheitsverläufe wesentlich früher. Das spielt bei der Statistik sicherlich eine Rolle. Mein Bauchgefühl sagt mir aber auch, dass gesellschaftliche Faktoren Depressionen begünstigen. Etwa die Verdichtung am Arbeitsplatz.“ Zudem begünstigen genetische Veranlagung und biografische Hintergründe den Ausbruch einer Depression. „Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einem multifaktoriellen Modell. Es gibt die genetische Vulnerabilität, eine Häufung von Krankheitsfällen in der Familie, einschneidende Verluste oder sexueller Missbrauch in der Kindheit. Diese Faktoren können den Ausbruch der Krankheit begünstigen.“ Aber selbst positive Ereignisse können Menschen aus der Bahn werfen. „Eine entscheidende Prüfung oder der Antritt einer neuen Arbeitsstelle, können Menschen übermäßigen Stress bereiten. Das hängt von der Erwartungshaltung ab“, sagt Olaf Bick.

Vorsorge und Therapieerfolg

Dauerhaft über das Limit gehen, das funktioniert nicht. „100 Prozent müssen genügen. Das müssen Depressionspatienten erst einmal lernen“, erklärt Olaf Bick. Das Erlebte neu zu bewerten und auch in das Alltagsleben zu integrieren, diese Neubewertung der inneren Einstellung musste Olaf Bick am eigenen Leib erfahren: „Mein einschneidendes Erlebnis war der Herzinfarkt vor zwei Jahren. Meine Frau musste mich 30 Minuten lang reanimieren, bis der Notarzt kam. Seitdem lebe ich bewusster und weiß auch, dass 100 Prozent Leistung vollkommen ausreichend sind! Das bedeutet für mich: Weniger Überstunden und dafür mehr Zeit mit der Familie.“ Ein weiterer Vorsorge- und Therapieansatz ist Bewegung an der frischen Luft. „Sport ist nicht nur für Herz-Kreislaufpatienten gut, sondern auch für Menschen mit Depressionen“, sagt Olaf Bick. Auch den Einsatz von Antidepressiva sieht der Facharzt für Psychotherapie als sinnvoll an.

Selbsttest

Aber wie bemerkt man eine Depression? „Es gibt kostenlose Fragebögen von der Deutschen Depressionshilfe. Vor Ort hilft auch das Wuppertaler Bündnis gegen Depression, oder Sie gehen gleich zu einem Spezialisten“, rät der Facharzt. „Ein definiertes Kernsymptom ist der Verlust von Interesse und Freude - ich kann mich über nichts mehr freuen. Auch Schlafstörungen und ein vermindertes Selbstwertgefühl oder Appetitlosigkeit sind häufige Symptome“, erklärt Olaf Bick. Hier spielt die Dauer der Symptome eine entscheidende Rolle: „Wer kontinuierlich zwei Kern- und zwei Nebensymptome über 14 Tage lang angibt, leidet bereits unter einer leichten Depression.“

Information & Kontakt

Das Wuppertaler Bündnis gegen Depression informiert auf der Internetseite www.depression-wuppertal.de über Beratungstermine und Informationsveranstaltungen zum Thema Depression.

Das Deutsche Bündnis gegen Depression ist über die Internetseite www.buendnis-depression.de zu erreichen.

Vor Ort berät das Medizinische Versorgungszentrum für seelische Gesundheit in der
Wesendonkstraße 7
Telefon: 0202 45 44 52
www.mvz-seelische-gesundheit.de

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