Padre Ernesto Mechila in Mexiko

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„Viele erfahren eine Wohltat, manche gar ein Wunder“
Padre Ernesto Mechila spricht über die Verehrung von San Judas in Mexiko

Text und Bild Øle Schmidt

Jeden Monat strömen Tausende zur Kirche San Hipolito in Mexiko-Stadt, um San Judas zu ehren, den Heiligen Judas Thaddäus. Wer es bis ins Innere des überfüllten Gotteshauses schafft, kann seine Figur des Apostels von Padre Ernesto segnen lassen. Øle Schmidt sprach mit dem Leiter von San Hipolito.

Padre Ernesto, in Mexiko gibt es ein beeindruckendes Pantheon an Heiligen, die bekannteste ist wohl die Jungfrau von Guadalupe. Warum suchen so viele Menschen in der Hauptstadt Zuflucht bei San Judas?
Es heißt ja, dass San Judas der Anwalt der Verzweifelten ist. Viele Jugendliche werden in ihren Familien nicht unterstützt, sie haben keine Arbeit, oder bekommen in Schule und Universität keine echte Chance. Sie wenden sich an jemanden, um zugedeckt und beschützt zu werden. Und dieser Jemand ist San Judas, in seiner Funktion als Patron der schwierigen Fälle.

Erklärt das auch, warum sich seit 60 Jahren mehr und mehr Menschen in Mexiko-Stadt an San Judas wenden?
Viele der Gläubigen erfahren eine Wohltat, wenn sie sich an den Apostel wenden, manche gar ein Wunder. Davon berichten sie den Menschen auf der Straße und in ihren Gemeinden. Und weil Väter und Mütter ihren Glauben an die Kinder weitergeben, finden so viele aus den neuen Generationen den Weg zu San Judas.

San Judas, der Heilige der Unheiligen, hat in diesen sechs Dekaden einen rasanten Aufstieg in der frommen Hauptstadt erfahren. Können Sie unseren Lesern in Deutschland diese Entwicklung nachzeichnen, Padre Ernesto?
In den Fünfzigerjahren wurde die erste San-Judas-Statue in San Hipolito aufgestellt, seit den Sechzigern ehren ihn seine Anhänger immer am achtundzwanzigsten Tag. In den Neunzigerjahren kamen erstmals so viele Gläubige, dass die Kirche zu klein wurde. Seit nun zehn Jahren besuchen mehr und mehr Menschen die Prozessionen, vor allem Jugendliche. Die meisten aus Armenvierteln, viele mit Gewalt- und Drogenerfahrungen.

Hat die wachsende Verehrung von San Judas in den Armenvierteln auch damit zu tun, dass sich die soziale Lage in Mexiko weiter verschlechtert?
Ja. Die meisten kommen von den Rändern der Stadt. Jesus sagt im Evangelium: Ich komme für die Kranken, nicht für die Gesunden, weil die Gesunden den Arzt nicht brauchen. Nach diesen Worten handeln wir und kümmern uns in der Kirche um die Vielen, die aus sozial benachteiligten Vierteln und den Vorstädten stammen.

Papst Franziskus möchte die Menschen an der Peripherie zurück in den Schoß der Kirche holen. Taugt die Verehrung von San Judas als Beispiel für diese neue katholische Sozialpolitik?
Nun, es ist die Tradition der Kirche, sich um die Armen und Schwachen zu kümmern. Aber es ist besonders schön, dass der neue Papst aus Lateinamerika stammt, und wir seine Sprache besser verstehen können. Und er hat sich diesen Namen gegeben, der alleine schon ein Programm ist, schließlich hat der Heilige Franz von Assisi demütig den Armen gedient. Dass Franziskus diese Botschaft der Kirche jetzt mit Nachdruck erneuert hat, freut uns sehr. Und es trifft den Nerv unserer Arbeit, die wir schon sehr lange in Mexiko machen, in einer gebrochenen und gewalttätigen Gesellschaft. Für uns ist Papst Franziskus ein Versprechen.

Eine arme, demütige Kirche für die Armen – so hat Papst Franziskus sein Programm zur Erneuerung umrissen. Wie politisch darf oder muss eine Kirche sein, wenn sie die Menschen ernst nehmen will? Versöhnen Sie in San Hipolito Religion und Politik?
Unser Ziel ist, die kommenden Generationen moralisch gut zu erziehen. Wir sagen ihnen, dass San Judas ökologisch leben würde, dass er einen Baum pflanzen würde. Dass er in der Metro aufstehen würde, um seinen Platz einem Bedürftigen zu überlassen. Dass er die Frauen mehr wertschätzen würde, schließlich tragen sie das neue Leben in sich. Wir verurteilen die Drogenkranken nicht, die zu den Prozessionen kommen, wollen ihnen aber aufzeigen, dass San Judas eine Möglichkeit ist, sich von Abhängigkeiten zu befreien.

Es ist beeindruckend, wie sie die Türen Ihres Tempels für Menschen mit Sucht- und Gewaltproblemen öffnen. Hat aber die Kirche nicht auch die Pflicht, die unwürdigen Lebensbedingungen von Millionen Mexikanern anzuprangern – und öffentlich zu sagen, wer dafür die Verantwortung trägt?
Die Katholische Kirche hat ihre Grundsätze: Du sollst nicht rauben und töten, lüge nicht und sei gerecht, liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Das ist die Botschaft von Jesus Christus, aufgeschrieben im Evangelium. Und die versuchen wir täglich zu lehren und zu praktizieren. Es ist letztlich ein sehr politischer Ansatz, doch wir greifen keine gesellschaftlichen Institutionen an, wir wollen die politischen Strukturen nicht verändern. San Judas ist eine Arbeit des Herzens und der Umkehr.

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