Zurück zur Übersicht

Ein Interview mit Nery Rodenas, ODHAG, zum neuen Papst

»Wir Laien sollten unsere Stimme erheben, Salz und Licht auf Erden sein«

Der renommierte katholische Menschenrechtler Nery Rodenas wünscht sich, dass Papst Leo den eingeschlagenen Weg von Franziskus fortsetzt. Besonders wichtig ist dem Anwalt aus Guatemala der Blick auf die Armen und die Ausgeschlossenen.

Ein Interview von Øle Schmidt, San Cristóbal de Las Casas, Mexiko

Seiner Fertigkeit, im richtigen Moment aus der Schusslinie zu gehen, verdankt Nery Rodenas sein Leben; zumal in einem Land, in dem die Grenzen zwischen Mafiakartellen und staatlichen Akteuren zunehmend verschwimmen. Dass er dies obendrein erhobenen Hauptes tut, hat ihm internationale Anerkennung und der ODHAG finanzielle Unterstützung eingebracht, aus Deutschland auch von Misereor und der Kindernothilfe. Der vierundfünzigjährige Anwalt hatte das Menschenrechtsbüro der Erzdiözese in Guatemala-Stadt von seinem Freund und Mentor Monseñor Gerardi übernommen, als dieser die Aufklärung von Massakern der Armee mit seinem Leben bezahlt hatte. Das war vor siebenundzwanzig Jahren.


»Nein zur Gewalt!« – Bei einer Aktion der ODHAG unter Leitung von Nery Rodenas schreiben Kinder und Jugendliche ihre Herzenswünsche auf Fassaden in Guatemala-Stadt. (Foto: Øle Schmidt)

Seitdem bringen Rodenas und sein Team Licht ins Dunkel von Menschenrechts-verletzungen in Guatemala. Ein Land, in dem die Korruption blüht, die Gewalt rast, und die Ungleichheit ohne jeden Schuss tötet. Anstrengend sei es bisweilen, dem Vermächtnis von Monseñor Gerardi gerecht zu werden, sagte Nery Rodenas seinerzeit bei unserer ersten Begegnung, »aber es schärft den Blick!« Ein kurzes Lächeln huschte damals über sein rundes, meist ernstes Gesicht. Von der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú, die uns begleitete, erntete der ODHAG-Chef ein beherztes Kopfnicken. Rodenas Geschichte zeigt, dass katholische Menschenrechtsarbeit sowohl weltliche Gerechtigkeit stiften als auch moralische Glaubwürdigkeit der Kirche reparieren kann. Mit dem Menschenrechtsbüro strengte er ein Verfahren wegen Staatskriminalität an: Drei hochrangige Militärs wurden wegen Mordes an Monseñor Gerardi zu jeweils 30 Jahren Haft verurteilt.

Herr Rodenas, Franziskus war der erste nicht-europäische Papst seit mehr als tausend Jahren und der erste Papst aus Lateinamerika überhaupt. Wie beurteilen Sie als Lateinamerikaner mit einigen Wochen Abstand die Wahl des US-amerikanischen Kardinals Robert Prevost?

Ich denke, die Kardinäle haben einen sorgfältigen Prozess durchlaufen, um zu bestimmen, was die Kirche in diesem Moment braucht. Sie kamen zu dem Schluss, dass Papst Leo XIV. seine gesammelte priesterliche Erfahrung einbringen sollte. Und deshalb war seine Ernennung die bestmögliche Entscheidung – ohne andere Kandidaten gering zu schätzen. Ich glaube tatsächlich, Leo ist der richtige Papst für die Bedürfnisse der heutigen Zeit. Vor allem, weil er genau weiß, was Frieden bedeutet, was soziale Gerechtigkeit ist, wie die Kirche neu strukturiert werden muss. Und: was die unterschiedlichen Regionen der Welt brauchen.

Was braucht die Region Lateinamerika, der sogenannte katholische Kontinent, auf dem vier von weltweit zehn Katholiken leben? Was sind das für Herausforderungen, mit denen es Papst Leo jetzt zu tun hat?

In Lateinamerika kämpfen wir mit Armut, Ausgrenzung und Diskriminierung, wir leiden unter Umweltzerstörung, Korruption und Gewalt. Die Menschen wünschen sich ein Leben in Würde, den Schutz der Natur. Und das gibt es nur in einer stabilen Demokratie, mit guter Regierungsführung. Papst Leo XIV. ist diesen Herausforderungen gewachsen, weil er sie aus nächster Nähe kennt. Er hat das Evangelium in Regionen gelebt, in denen die menschliche Würde geleugnet wird. Und er ist mit den aktuellen Entwicklungen in der Kirche vertraut, etwa dem synodalen Weg. Der Papst spricht über Frieden, weil er weiß, wie zerstörerisch der Krieg ist. Dass Robert Prevost viele Jahre mit dem Volk gegangen ist, macht ihn zu einem Papst, der das Evangelium lebt, vor allem dessen Option für die Armen.


Nery Rodenas, 54, lebt gefährlich als Menschenrechtler im mittelamerikanischen Guatemala, seit vielen Jahren eines der gefährlichsten Länder weltweit. (Foto: Øle Schmidt)

Wieder gibt es keinen Papst aus Afrika, wieder keinen aus Asien. Halten Sie die Wahl eines Papstes aus den USA in diesen Zeiten für einen Rückschritt für den Globalen Süden?

Ganz und gar nicht. Papst Leo XIV. gehört zwei Welten an, denn auch wenn er im Norden geboren und ausgebildet worden ist, haben sich seine Persönlichkeit und seine seelsorgerische Arbeit maßgeblich im Süden entfaltet. Peru hat ihm den gelebten Glauben vermittelt, einen Glauben, der sich mit den Ärmsten solidarisiert. Sein missionarischer Charakter – im Dienst der Menschen in Peru, mit Wissen um die Lebensrealität Lateinamerikas – lässt mich glauben, dass die Wahl von Papst Leo ein Fortschritt für die marginalisierten Völker ist, ob sie nun afrikanisch oder asiatisch sind.

Also kann ich davon ausgehen, dass Sie sich von Papst Leo wünschen, den Reformkurs von Franziskus fortzusetzen? Welche seiner Reformen liegen Ihnen besonders am Herzen?

Ich halte die Linie von Papst Franziskus für sehr wichtig. Vor allem, weil sie zum Ziel hatte, Überkommendes zu überwinden, das der Kirche versagt hatte, ihre Mission zu erfüllen. Deshalb glaube ich nicht, dass Papst Leo XIV. die von seinem Vorgänger eingeleiteten Prozesse rückgängig machen wird; es waren Fortschritte. Leo könnte jedoch überprüfen, welche Reformen verstärkt oder aber gemäß aktuellen Erfordernissen verändert werden müssen. Ich denke, Papst Leo XIV. sollte die eingeleiteten Reformen weiterführen. Die Verhinderung sexuellen Missbrauchs, die Dezentralisierung der Kirche und die Transparenz ihrer Finanzen, die größere Beteiligung von Frauen und von sozialen Gruppen. Für zentral halte ich den synodalen Prozess, er kann der Kirche helfen, sich der Welt und den derzeitigen Lebensumständen zu nähern – ohne dabei ihr Wesen aufzugeben.


In dem erweiterten Komplex der Kathedrale von Guatemala-Stadt sind auch die Räumlichkeiten der ODHAG untergebracht, das Menschenrechtsbüro der Erzdiözese in der Hauptstadt des Landes. (Foto: Øle Schmidt)

Papst Franziskus hatte sich auf das Zweite Vatikanische Konzil und dessen »Option für die Armen« bezogen, auf eine »arme und demütige Kirche für die Armen«. Was erwarten Sie in diesem Zusammenhang von Papst Leo XIV.?
Mit der Wahl seines Namens erkennt der aktuelle Papst die Bedeutung der kirchlichen Soziallehre in der Welt an. Ein enorm wichtiger Schritt, denn die soziale Mission der katholischen Kirche hat die Welt im vergangenen und im gegenwärtigen Jahrhundert geprägt. Ich erwarte von Papst Leo XIV., dass wir unseren Blick weiterhin auf die Armen und Ausgeschlossenen richten, dass wir Christen solidarischer mit unseren Nächsten werden – und den Mut haben, das anzuprangern, was dem Plan Gottes entgegensteht.

Papst Franziskus hatte sich leidenschaftlich für die Bewahrung der Schöpfung ausgesprochen, unvergessen ist sein Satz: »Diese Wirtschaft tötet!« Ist die Kapitalismuskritik von Franziskus, der interessanterweise auf das Wort »Kapitalismus« verzichtet hatte, weiterhin aktuell?

Ja, diese Kapitalismuskritik von Franziskus ist aktuell. Mit den von ihm verfassten Enzykliken »Laudato Si« und »Querida Amazonia« bleibt der Aufruf zum Schutz der Schöpfung gültig. Der Aufruf, Menschen und die Natur zu schützen, gilt für alle Zeiten – besonders angesichts egoistischer Politik, welche die menschliche Würde leugnet.

Wie kann die Parteinahme für die Bewahrung der Schöpfung und die menschliche Würde gelingen?

Es ist wichtig, dass wir als Volk Gottes dieses Pontifikat begleiten, dass wir Laien uns als bedeutender Teil der katholischen Kirche verstehen. Es ist wichtig, dass wir unsere Stimme und unsere Sichtweise hörbar machen, dass wir Salz und Licht der Erde sind – damit die Welt glauben kann.

Øle Schmidt lebt als freier Journalist und Autor in Deutschland und Lateinamerika. Aus El Salvador hat er für WDR und SWR berichtet, für Misereor und Amnesty International.

Zurück zur Übersicht

<< November 2025 >>
MoDiMiDoFrSaSo
272829303112
3456789
10111213141516
17181920212223
24252627282930
logisch! Zeitung der Katholischen Citykirche Wuppertal