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»In El Salvador zu bleiben, wäre den Kopf aufs Schafott zu legen und zu warten, bis das Beil fällt«


Wegschauen, verbergen – oder doch hinsehen? Eine Salvadorianerin in einem Ladenlokal in der Hauptstadt. (Foto: Øle Schmidt)

Präsident Bukele zieht die Daumenschrauben an: Schwarze Listen, willkürliche Verhaftungen, das »Gesetz gegen ausländische Agenten«. Die renommierten Menschenrechtler von Cristosal haben El Salvador nun verlassen – um weiterzumachen. Ein Gespräch mit Direktor Noah Bullock über Machtgier und Exilierung als politische Waffe, über Hoffnung.

Von Øle Schmidt, San Cristóbal de Las Casas, Mexiko

Der Mann mit dem akkuraten Scheitel wirkt aufgeräumt, das lichtdurchflutete Büro in Guatemalas Hauptstadt sieht auf meinem Bildschirm so gar nicht nach klandestinem Exil aus. Von der weiß getünchten Wand grüßt der salvadorianische Volksheld Monsignor Romero, ein startendes Flugzeug verbreitet ohrenbetäubende Internationalität. Noah Bullock und die Menschenrechtsverteidiger von Cristosal machen derzeit multimediale Überstunden. Sie erklären sich, und sie erklären der Öffentlichkeit die atemberaubenden Entwicklungen in ihrer Heimat: erzwungenes Exil, ein Exodus an Dissidenten aus dem kleinen mittelamerikanischen Land, und dennoch: ungebrochene Hoffnung. Nach einem Vierteljahrhundert Einsatz für andere in El Salvador ist es für Cristosal ganz offensichtlich an der Zeit, sich in Resilienz zu üben, und mit dem aufzuladen, was ein gewisser Herr Guevara einst die Zärtlichkeit der Völker nannte: mit Solidarität. Wie sonst dem Trauma der Vertreibung trotzen – wie sonst weiterhin Öffentlichkeit schaffen? Im Exil, so wird schnell klar, ist das Private politischer denn je.


Noah Bullock ist seit vielen Jahren Direktor der Menschenrechtsorganisation Cristosal. (Foto: Privat)

Noah Bullock, in welchem Moment wussten Sie als Direktor von Cristosal: Das war's in El Salvador, wir sollten schleunigst die Koffer packen?

Das war ein längerer Prozess. Schon im Jahr 2018 wurde ich vom US-Konsulat angerufen und gewarnt, dass mein Name auf einer Liste von Personen steht, die aus dem Land ausgewiesen werden sollen. Der eigentliche Wendepunkt war dann jüngst das »Gesetz über ausländische Agenten« – und die Umstände, unter denen es eingeführt wurde: Innerhalb von zehn Tagen wurden vier renommierte Menschenrechtsaktivisten verhaftet, auch unsere Kollegin Ruth López, die bei Cristosal das Referat für Korruptionsbekämpfung leitet. Uns wurde klar: Dieses Gesetz können wir als Nichtregierungsorganisation nicht überleben – weder rechtlich noch organisatorisch.

Das Gesetz gegen ausländische Agenten folgt ähnlichen in Russland, Venezuela und Nicaragua. Gemeinsam ist ihnen, den Spielraum zivilgesellschaftlicher Organisationen dramatisch einzuschränken. Präsident Bukele kann jetzt legal von Cristosal von jeder Spende aus dem Ausland einen Anteil fordern: von dreißig Prozent.

Es geht nicht nur ums Finanzielle, obwohl das eine ernsthafte Bedrohung ist. Dieses Gesetz schafft einen rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen die Regierung Bukele uns dauerhaft überwachen kann. Und jede noch so kleine Gesetzesverletzung von unserer Seite kann nun mit einer Strafe von bis zu einer Viertelmillion US-Dollar geahndet werden. Das bedeutet: Alle Rücklagen, die wir im Land haben, sind akut gefährdet. In El Salvador zu bleiben, wäre den Kopf aufs Schafott zu legen und darauf zu warten, bis das Beil fällt.

Mit der Verhaftung von Ruth López ist Präsident Bukele ins Risiko gegangen. Die 47-jährige Anwältin von Cristosal taugt durchaus als Heldin aus dem international meist vergessenen El Salvador. Die BBC zählt Ruth López zu den hundert weltweit einflussreichsten Frauen. Dementsprechend hat ihre Verhaftung international Wellen geschlagen.

Auch die Festnahme von Enrique Anaya war ein unmissverständliches Zeichen des Regimes. Enrique ist Verfassungsrechtler und hatte öffentlich die rechtswidrige Inhaftierung von Ruth López kritisiert und ihre Unschuld verteidigt. Nach Ruths erster Anhörung gab es dann einen Aufschrei auf Social Media. Menschen posteten Fotos der Staatsanwälte, die sie verfolgten, und nannten auch den Namen des Richters. Präsident Bukele setzte anschließend einen Tweet ab – wonach jeder, der Mitglieder seiner Regierung kritisiere, potenziell ein Verbrechen begehe, und dass die Zeit der Straflosigkeit vorbei sei: »Sagt später nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.«

An Zynismus kaum zu überbieten – die Androhung von staatlicher Repression auf eine öffentlich geäußerte Kritik als das Ende von Straflosigkeit zu bezeichnen …

Zwei Tage später wurde Enrique Anaya zu Hause unter vorgehaltener Waffe festgenommen. Am Abend zuvor war er noch mit Familie und Unterstützern von López bei uns im Büro gewesen. Dann tauchten Schwarze Listen von Personen auf, die festgenommen werden sollten – mit Namen der Leitung von Cristosal. Mitarbeitende von Cristosal wurden zu Hause von Polizisten besucht. All das zeigte uns: Die Regierung ist bereit, uns zu verfolgen, auch als Warnung an die Zivilgesellschaft. Letztlich war es diese Kombination aus Festnahmen, Polizeischikanen, Schwarzen Listen und dem Gesetz über ausländische Agenten, die uns zu der Entscheidung zwang, El Salvador zu verlassen.

Die jetzt festgenommenen Menschenrechtler und Anwälte hatten auch die Massenverhaftungen junger Salvadorianer in den vergangenen Jahren kritisiert. Unter den etwa 90.000, denen vorgeworfen wird, Teil der Mara-Jugendbanden zu sein, sollen Tausende Unschuldige sein, die bis heute nicht mal einen Richter gesehen haben.

Und sie sind in den Gefängnissen verschwunden, ohne Zugang zu Familien und Freunden, das Regime lässt systematisch foltern. Hunderte sind in den Gefängnissen gestorben. Diese Erfahrung von Massenverhaftungen, bei denen Zehntausende Menschen über Jahre hinweg ohne Gerichtsverfahren in Gefängnissen verschwinden, zeigt den Salvadorianern eindringlich: Die Regierung kann willkürlich jeden festnehmen und auf unbestimmte Zeit inhaftieren. Das schafft ein Klima von Angst und Terror. Es dürfte nicht viele Länder auf der Welt geben, in denen wie in El Salvador etwa zwei Prozent der Bevölkerung weggesperrt sind.


Präsident Bukele hat nicht davor zurückgeschreckt, auch die international renommierte Anwältin Ruth López verhaften zu lassen, die bei Cristosal die Antikorruptionsarbeitet leitet. Da weder ihre Familie, noch ihre Anwälte wissen, wo sich die 47-Jährige befindet, spricht man von »erzwungener Verschleppung«. (Foto: Privat)

Für diese dunklen Zeiten, die Sie zeichnen, ist ein schillernder Mann verantwortlich, der sich politischen Verortungen entzieht: Nayib Bukele, 44, war 2015 Hauptstadt-bürgermeister für die linke Guerilla-Nachfolgepartei FMLN, 2019 wurde er Präsident für die Rechtsaußenpartei Gana, und nachdem er die Verfassung gebrochen hatte, wurde er 2024 für seine neu gegründete Partei Nuevas Ideas wiedergewählt, seit drei Jahren nun regieren er und seine Familiendynastie El Salvador im Ausnahmezustand. Hat Bukele darüber die Bodenhaftung verloren, politisch und emotional?

Ohne Zweifel folgt Präsident Bukele einem typischen Drehbuch zu Machtkonzentration und Errichtung einer Diktatur. Wann er sich dazu entschlossen hat, weiß ich nicht. Aber er hat ab einem gewissen Zeitpunkt offen gesagt, dass sein Ziel ist, demokratische Wahlen zu gewinnen, um dann den demokratischen Staat zu demontieren und durch ein autokratisches Regime zu ersetzen, das ihm und seiner Elite aus Familie und Freunden zugutekommt. Dafür spielt er mit einem Nationalgefühl, einem speziellen Patriotismus, der die jahrzehntelange Demütigung El Salvadors durch Gewalt, Korruption und erzwungene Migration instrumentalisiert.

Würden Sie sagen, dass Bukele seine politische Laufbahn mit dieser autoritären Agenda begonnen hat? Oder ist sie eher das Ergebnis einer bemerkenswerten Machtkonzentration, die ihn dann immer hungriger werden ließ?

Diese Frage habe ich mir oft gestellt: Hat die Macht Bukele korrumpiert, oder war er schon korrupt auf dem Weg zur Macht? Zumindest sein Drehbuch ist eindeutig. Wie fast alle Diktatoren in der Geschichte El Salvadors wird auch Präsident Bukele von zweierlei angetrieben: von einer Wiederwahl, obwohl die Verfassung dies verbietet, und vom Regieren auf Grundlage eines Ausnahmezustands. Eines dauerhaften Ausnahmezustands. Den Ausnahmezustand hatte Bukele 2022 wegen einer Gewaltexplosion durch die Mara-Jugendbanden verhängt. Doch als er verkündete, die Banden seien besiegt, blieb der Ausnahmezustand. Jetzt nutzt er ihn, um Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und andere kritische Stimmen zu unterdrücken. Nichts Neues also in El Salvador.

Also folgt der Bukelismo weniger einem ausformulierten Masterplan aus der Schublade, und unterliegt vielmehr einer prozesshaften Selbstradikalisierung?

Während des Ausnahmezustands kündigte die Polizeiführung an, 10.000 Mitglieder der Maras festzunehmen. Als sie feststellten, wie populär das war, wurden es 20.000 und schließlich bis zu 90.000 Festnahmen. Diktatoren testen die Grenzen ihrer Macht, und weiten diese aus, wenn ihnen niemand die Stirn bietet. Bukele hat auf diese Weise gleichzeitig seinen Machtmissbrauch normalisiert. Und das ist die eigentliche Eskalation. Es ist wohl weniger Masterplan als die Methode Trial-and-Error: Was ist möglich, was ist machbar?


Die Überwachungskamera einer Nichtregierungsorganisation in der Hauptstadt San Salvador zeichnet Tag und Nacht auf. (Foto: Øle Schmidt)

Was genau war machbar für Bukele, was ist jetzt in El Salvador? Ich frage, weil einige deutsche Journalisten eine Schlussfolgerungshemmung bezüglich seiner Politik zu befallen scheinen: »Aber er ist doch gewählter Präsident …«

Wir sehen eine klassische Autokratie – sie stehlen Geld; sie konzentrieren die Macht in den Händen einer kleinen Elite; sie nehmen die Ressourcen des Landes in Besitz, als wären es ihre eigenen; sie regieren ohne Grenzen, ohne Transparenz, ohne Rechenschaftspflicht, ohne Dialog mit irgendjemandem; sie foltern; sie töten. Und all das ist nichts Neues, es ist das Modell von Autokratien in El Salvador, das wir aus der Vergangenheit kennen …

… ein Modell, an dem sich auch Autokraten der weltweiten Gegenwart orientieren.

Ja, die Erfahrung aus El Salvador ist ein Spiegel für die ganze Welt. Überall versuchen Menschen derzeit rückblickend, Machtmissbrauch in der Vergangenheit zu normalisieren, oder als Ausnahme zu verklären. Wir hingegen beobachten eine Wiederholung vergangener Erfahrungen, und wissen deshalb um die Folgen des aktuellen Autoritarismus: Instabilität, Korruption, politische Gewalt, Gewalt. Unterdessen versucht Präsident Bukele der Welt weiszumachen, dass er für ein neues Modell stehe, für eine moderne Regierungsführung. Doch Politiker, die sagen, sie müssten Macht konzentrieren und Rechte aussetzen, um Probleme zu lösen, haben in Wahrheit kein Interesse daran, die Probleme ihrer Bevölkerung zu lösen. Ihr Interesse ist konzentrierte Macht.

Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang für Bukele die politische Bromance mit Präsident Trump? Der hatte im Frühling hunderte angebliche Bandenmitglieder nach El Salvador deportieren lassen, ohne Haftbefehle und gegen den Willen der US-Justiz. Bukele hat sie dann für mehrere Millionen US-Dollar in seinem Terrorgefängnis Cecot inhaftieren lassen.

Bukele ist ein Präsident, der verzweifelt danach strebt, international als Vorbild gesehen zu werden, als ein Führer der Welt. Nach dem Deal mit Trump kann er sagen, dass seine Gefängnisse von den USA gebucht wurden, um ein angebliches Sicherheitsproblem zu lösen. Das ist wichtig für Bukele, um seine Gefängnisse und sein Sicherheitsmodell legitimiert zu sehen. Er ist dieses Abkommen mit den USA auch eingegangen, um die Abschiebung der Führungsriege der Mara Salvatrucha zu erreichen, der Jugendbande, die gerade in New York vor Gericht steht. Er wollte, dass die Anführer in seinen Gefängnissen verschwinden, statt vor US-Gerichten über ihre jahrelange und geheime Zusammenarbeit mit ihm auszusagen. Bukele wollte ein schweres Verbrechen von ihm vertuschen.


Viele Läden haben wieder geöffnet, seitdem Bukele die Jugendbanden mit staatlichem Terror überzieht. (Foto: Øle Schmidt)

Sind das erste Anzeichen für ein Ende von Bukele?

Wie viele autoritäre Regime hat auch Bukele mit großer Zustimmung begonnen. Und mit dieser rechtfertigen diese Regime alles, was sie tun. Doch wenn die Zustimmung schwerer aufrechtzuerhalten ist, oder gar schwindet, werden sie immer repressiver. Und genau das geschieht gerade in El Salvador: Bukeles Popularität muss durch Repression gestützt werden. Da der Bukele-Clan seine Macht aber bereits eindrucksvoll demonstriert hat, genügt in der jetzigen Phase gezielte Repression, etwa gegen Einzelpersonen, um die gesamte Gesellschaft zu terrorisieren und die gewünschten Teile der Bevölkerung zu kontrollieren. Alle Salvadorianer wissen, dass die Institutionen zerstört sind, die sie vor dem repressiven Apparat schützen konnten. Es reichen also kleine Erinnerungen, um die Angst aufrechtzuerhalten.

Was treibt den Menschen Nayib Bukele an?

Bukele zeichnet ein grundlegendes Streben nach Macht aus, angetrieben von einem Wunsch nach Rache gegen jene, die – seiner Meinung nach – seinen Aufstieg zur Macht blockiert haben. Er stammt aus der palästinensischen Gemeinschaft in El Salvador, die von den traditionellen Eliten daran gehindert wurde, zur Oligarchie aufzusteigen. Wir sehen also eine Mischung aus Machtgier und Rache. Wieder nichts Neues in El Salvador.

Sie und ihr zwanzigköpfiges Team wurden von Bukeles Familienautokratie aus dem Land getrieben und wachen jetzt morgens in Guatemala auf – ohne Familie. Ist das wie ein schlechter Traum, der einfach nicht enden will?

Nun, unsere Gedanken sind vor allem bei unseren Kolleginnen und Freunden in den Gefängnissen El Salvadors. In jedem Moment fühlen wir ihre Inhaftierung, und wissen gleichzeitig, dass wir selbst in Freiheit sind. Das war ein wichtiger Grund für unsere Entscheidung, ins Exil zu gehen: Wir können nichts für die politischen Gefangenen und die anderen Opfer der Repression tun, wenn wir alle im Gefängnis sitzen. Wir mussten gehen, um weitermachen zu können.

Wie hoch ist der persönliche Preis der Mitarbeitenden für das Exil der Menschenrechtsorganisation Cristosal?

Viele von uns machen die Erfahrung von Verlust, persönlich und auch materiell. Es stürzen ganze Lebensprojekte ein. Der Traum einer Parzelle, für die man schon immer spart, oder das kleine Haus, das man seit Jahren selbst baut und nun zurücklassen musste. Einige von uns mussten betagte Eltern und Kinder zurücklassen. Das löst ein Gefühl von Schuld aus, weil die ganze Familie die Konsequenzen deiner Entscheidung tragen muss. Eine Entscheidung in dem Bewusstsein getroffen, dass sie richtig ist. Aber war sie es auch? Das frage ich mich manchmal.


Diabolisch: Auch dieser Handwerker in San Salvador kann wieder arbeiten, weil die Straßen nach den Massenverhaftungen sicher sind. Doch er kann sich nicht sicher sein, jederzeit von staatlichen Autoritäten auf der Straße verhaftet zu werden. (Foto: Øle Schmidt)

Setzt Präsident Bukele erzwungenes Exil bewusst als politische Waffe ein?

Ja, es gibt die Strategie, eine Atmosphäre des Terrors zu schaffen; mit dem Ziel, für die Regierung unbequeme Stimmen zu vertreiben. Das ist gewollt. Exil ist immer eine Form politischer Gewalt. Wegen der direkten Auswirkungen auf die Vertriebenen, aber auch als Signal an die Gesellschaft, welche Konsequenzen bei Widerspruch drohen: Gefängnis oder eben Exil. Diese Drohungen reichen oftmals, um ein System der Kontrolle zu etablieren.

Ihre Mitarbeiterin Ruth López hat es nicht mehr außer Landes geschafft, sie ist seit fast vier Monaten (18. Mai) inhaftiert. Wie geht es ihr?

Seitdem Ruth vor drei Monaten (10. Juni) in ein anderes Gefängnis verlegt wurde, ist sie von der Außenwelt abgeschnitten. Weder ihre Familie noch ihre Anwälte, noch wir haben Ruth seit der Verlegung gesehen oder gesprochen. Das internationale Recht spricht in solchen Fällen von erzwungener Verschleppung. Wenn Familien oder Anwälte nicht wissen, wo sich ihre Angehörigen oder Klienten befinden, ist das eine Form von Gewalt.

Was befürchten Sie, wie es Ruth López im Gefängnis ergehen könnte?

Genau darum geht es! Ruth López wird erzwungen verschleppt, damit sich ihr Umfeld Sorgen macht um ihre körperliche und psychische Unversehrtheit. Es ist bekannt, dass Ruth gesundheitliche Probleme hat und Zugang zu medizinischer Versorgung benötigt. Doch wir können nicht sicherstellen, dass sie diese bekommt. Ruth López hatte vor ihrer Verhaftung Strafanzeige wegen Korruption gegen Osiris Luna Meza gestellt. Der Leiter des salvadorianischen Gefängnissystems steht wegen Korruption auch auf einer Sanktionsliste der USA. Ausgerechnet in dessen Obhut befindet sich Ruth jetzt. Das besorgt uns.


Nicht nur Óscar Romero, auch Jesus ist allgegenwärtig im öffentlichen Leben des kleinen mittelamerikanischen Landes. (Foto: Øle Schmidt)

Wie wichtig ist in solchen Momenten der christliche Hintergrund von Cristosal, das vor mehr als 25 Jahren auch von anglikanischen Bischöfen gegründet wurde?

In El Salvador sind Kirchen seit Jahrzehnten ein Ort der Verteidigung von Rechten und der Forderung nach Gerechtigkeit. In diesem Sinne hat die Gründung von Cristosal eine historische Bedeutung, denn unsere Mission ist nicht mit einer politischen Partei oder externen Interessen verbunden. Wir sind tief verwurzelt in den Gemeinschaften des Landes, vor allem in den Glaubensgemeinschaften. Und im Vermächtnis des Märtyrers von El Salvador. Sehen Sie Óscar Romero? (Noah Bullock zeigt auf dessen Bild, das in seinem Büro hängt.)

Óscar Romero hatte sich als Erzbischof von San Salvador öffentlich der damaligen Militärdiktatur entgegengestellt, und wurde 1980 an der Kanzel erschossen, Papst Franziskus hatte ihn 2018 heiliggesprochen. Wie bedeutsam ist Óscar Romero für Ihre Arbeit?

Wir erwarten von unseren Mitarbeitenden nicht, dass sie religiös sind oder sich zu einer bestimmten Religion bekennen. Aber besonders für unsere salvadorianischen Mitarbeitenden ist es unmöglich, ihre Motivation für Menschenrechtsarbeit von dem historischen Erbe zu trennen, das sie in den Glaubensgemeinschaften und im Vermächtnis unseres Märtyrers Óscar Romero finden.

Wie kann das Vermächtnis von Óscar Romero hilfreich sein, heute im Widerstand gegen das Bukele-Regime?

Auf der Pressekonferenz, bei der wir die Aussetzung unserer Arbeit in El Salvador bekannt gaben, haben wir uns auf ein Zitat von Óscar Romero bezogen. Er sagte damals in einer Predigt, dass er Morddrohungen erhalte, und es Menschen gäbe, die ihn töten wollten; dass sich diese Menschen aber grundlegend irren würden: »Die Stimme der Gerechtigkeit kann man nicht zum Schweigen bringen.« Auch wir sehen es so. Angesichts von Repression, Ausnahmezustand und Verhaftungen sagen auch wir, dass sich das Regime grundlegend irrt. Die Sehnsüchte und Hoffnungen auf ein Leben in Würde und Freiheit, die tief in den Menschen, den Familien und Gemeinschaften verwurzelt sind, können nicht aufgehalten werden. Das ist unser Selbstverständnis als Teil eines historischen Kampfes.

Øle Schmidt lebt als freier Journalist und Autor in Deutschland und Lateinamerika. Aus El Salvador hat er für WDR und SWR berichtet, für Misereor und Amnesty International.

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