Text Kathrin Zeiske und Øle Schmidt
Die honduranische Umweltaktivistin Berta Cáceres hat ihren Einsatz für die Rechte indigener Gemeinden mit dem Leben bezahlt. Vom Staat hatte sie keinen Schutz zu erwarten – er ist in Honduras eine Quelle der Gewalt. Berta Cáceres führte den Widerstand gegen den Bau des umstrittenen Staudammes Agua Zarca an, dessen Turbinen von den deutschen Firmen Voith und Siemens geliefert werden sollen.
„Wach’ auf Menschheit, die Zeit wird knapp!“, das hatte Berta Cáceres im vorvergangenen Jahr in London ausgerufen, als sie den renommierten Goldman-Preis für Umweltaktivisten überreicht bekam. Dass ihr selbst nicht mehr viel Zeit bleiben sollte, ahnte die indigene Frau aus Honduras schon länger. Nach all den Anfeindungen und Verleumdungen in den vergangenen Jahren, den Morddrohungen und bewaffneten Angriffen auf sie.
So war bei friedlichen Protesten im Jahr 2013 der Aktivist Tomás García durch die Kugeln eines Soldaten gestorben. Berta Cáceres sagte danach dem Sender Al Jazeera: „Die honduranische Armee hat eine Todesliste, auf der die Namen von 18 Menschenrechtsaktivisten stehen – mein Name steht an der Spitze. Ich treffe viele Vorsichtsmaßnahmen, aber am Ende bin ich in diesem Land mit völliger Straffreiheit verletzlich. Wenn sie mich töten wollen, dann werden sie es tun.“ Die Regierung von Honduras verweigerte Berta Cáceres auch danach angemessenen Schutz, entgegen einer Aufforderung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission.
Mit Ende des Jahres 2015 spitzte sich die Lage zu. Damals war ein millionenschweres Bauvorhaben wieder aufgenommen worden, dessen entschlossenste Gegnerin Berta Cáceres war: der Staudamm Agua Zarca des honduranischen Energieunternehmens Desarrollos Energéticos (DESA). Gleichzeitig kam eine internationale Verleumdungskampagne gegen die Aktivistin ins Rollen. Berta Cáceres erhielt Morddrohungen von DESA-Mitarbeitern und wurde von Paramilitärs attackiert, Nichtregierungsorganisationen und Medien in aller Welt bekamen dubiose Emails der in Hongkong ansässigen „Consultingfirma“ Monkey Forest, die die Aktivistin diffamierten. Im November 2015 wurde erstmals auf Berta Cáceres geschossen; vier Monate später trafen die Kugeln ihr Ziel.
Die Mörder kamen in der Nacht, auf den dritten März, einen Tag vor ihrem vierundvierzigsten Geburtstag. Sie drangen in das Haus von Berta Cáceres in der Kleinstadt La Esperanza ein und erschossen sie. Der mexikanische Umweltaktivist Gustavo Castro überlebte den Anschlag wie durch ein Wunder unverletzt.
Die charismatische Berta Cáceres hatte als Koordinatorin von COPINH, dem Dachverband indigener Organisationen in Honduras, seit dem Jahr 2011 den Widerstand gegen Agua Zarca angeführt. Sie war das fünfte Opfer einer Mordserie an Gegnern des Staudammes.
Das kleine Honduras mit seinen acht Millionen Einwohnern hält gleich zwei traurige Rekorde: Es ist das Land außerhalb von Kriegsgebieten mit der höchsten Mordrate weltweit, und es ist das Land mit den meisten getöteten Umweltaktivisten weltweit. Diese öffentliche Unsicherheit ist kein tragischer Unfall, sondern Teil eines politischen Projektes, das Angst und Hass sät, um Menschen in Lethargie und politische Enthaltsamkeit zu treiben. Auch, um dramatische wirtschaftspolitische Entscheidungen der Regierung möglichst geräuschlos über die Bühne zu bringen, die sie nach dem Putsch im Jahr 2009 getroffen hatte: Die eilig vorangetriebene Privatisierung von Staatsbetrieben; die Verpachtung von Wäldern, Flüssen und Ländereien an internationale Firmen; der Raub von Kooperativenland für die Produktion von Agrosprit; die Verpachtung ganzer Territorien an internationale Firmen, um sogenannte Charter Cities zu schaffen: Wirtschaftsenklaven jenseits von honduranischer Rechtsprechung und demokratischer Kontrolle. Und nicht zuletzt die Vergabe von Lizenzen für Minen und Staudämme an internationale Investoren.
Der Putsch gegen den liberalen Präsidenten Manuel Zelaya im Jahr 2009 war eine Zäsur in der Geschichte der Gewalt in Honduras. Die wenigen verbliebenen rechtsstaatlichen Institutionen des Landes wurden damals massiv geschwächt. Seitdem stehen politische Morde auf der Tagesordnung, seitdem eskalieren die Angriffe auf Oppositionelle und Minderheiten. Und die Konzentration von Macht in den Händen einiger weniger hat groteske Züge angenommen.
Die Zusammensetzung des Vorstandes des Energieunternehmens DESA ist ein Beispiel für die unheilvolle Verflechtung von Wirtschaftselite, Sicherheitsorganen und Politik in Honduras: Dem Gremium des Staudammbetreibers gehören gleich mehrere Mitarbeiter des honduranischen Militärgeheimdienstes an – allen voran Roberto Pacheco Reyes, ein Verwandter von General Julián Pacheco, dem Sicherheitsminister in der gegenwärtigen Regierung Juan Orlando Hernández. Das böse Wort vom militärisch-industriellen Komplex drängt sich geradezu auf.
Als der renommierte Journalist Felix Molina jüngst im oppositionellen Sender Radio Globo dieses Kartell der Angst innerhalb des Projektes Agua Zarca offenlegte, wurde noch am selben Tag zweimal auf ihn geschossen. Felix Molina überlebte schwer verletzt. Auch auf Alexander García wurde ein Mordanschlag verübt, den er nur knapp überlebte. Das COPINH-Mitglied engagiert sich in der Gemeinde Llano Grande gegen das Staudammprojekt einer Firma, die Gladys Aurora López gehört. Gladys Aurora López ist Vizepräsidentin des honduranischen Kongresses.
Der Staudamm Agua Zarca ist ein Projekt internationaler Investoren und Firmen, auch aus Europa. Und er ist ein Lehrstück darüber, wie einfach diese fern der Heimat ihre Mitverantwortung an Menschenrechtsverletzungen leugnen können, ohne dass Gerichte oder Verbraucher einschreiten. Die europäischen Finanziers des Projektes, die Entwicklungsbanken FMO aus den Niederlanden und Finnfund aus Finnland, brauchten zwei Wochen, um auf den Mord an Berta Cáceres zu reagieren. Am 16. März 2016 stoppten sie dann alle Zahlungen, vorläufig. Die deutschen Firmen Voith und Siemens brauchten noch einen Mord und sechs Wochen Bedenkzeit mehr, bis sie am 4. Mai 2016 die Lieferungen ihrer Turbinen einstellten, bis auf Weiteres. Die Banken und Firmen aus Europa waren in den Jahren zuvor von NGOs über die Rechtsbrüche, die Repressionen und die Mordserie an Staudammgegnern informiert worden. Die Weltbank hatte sich nach großer öffentlicher Kritik bereits im Jahr 2013 aus dem Projekt Agua Zarca zurückgezogen.
Nach dem Mord an Berta Cáceres passiert polizeilich erst mal: nichts. Statt ernsthaft die Täter zu suchen, suchen die Polizisten lieber einen Täter aus dem privaten Umfeld von Berta Cáceres und COPINH. So wollen die Behörden Fragen zu möglichen Verbindungen staatlicher Stellen in den Mordfall von vornherein ausschließen.
Als der internationale Druck schließlich zu groß wird, verhaftet die honduranische Polizei zwei Monate nach der Mordnacht fünf Männer. Sie stehen auf der Lohnliste des Staudammbetreibers DESA, oder wirken in dessen direktem Umfeld: Sergio Rodríguez ist Manager für Umwelt und Soziales bei der DESA; Douglas Bustillo ist zweiter Chef des DESA-Sicherheitsdienstes, ein ehemaliger Offizier; Mariano Díaz ist Major einer Spezialeinheit und Ausbilder bei der Militärpolizei. Bustillo und Rodríguez sind seit Langem für Drohungen gegen Berta Cáceres und COPINH bekannt.
„Für die Familie von Berta und für COPINH ist es eindeutig, dass der Staudammbetreiber DESA für ihren Tod verantwortlich ist - mit der Hilfe von Regierung, Armee und Auftragsmördern“, sagt der 52-jährige Gustavo Castro, in dessen Armen Berta Cáceres starb. „Das sind die, die Berta und all die anderen in den vergangenen Jahren permanent bedroht haben.“ Die Familienangehörigen von Berta Cáceres und die Verantwortlichen von COPINH fordern die Einsetzung einer unabhängigen internationalen Untersuchungskommission, unter dem Vorsitz der Interamerikanischen Menschenrechtskommission. So hoffen sie, dass die mutmaßliche Beteiligung höchster politischer und militärischer Kreise auch juristisch verfolgt werden kann.
Hätte der Tod von Berta Cáceres verhindert werden können? Hat die Bundesregierung, haben deutsche Diplomaten ihren ganzen Einfluss geltend gemacht, um die Aktivistin zu schützen? Und haben die beiden beteiligten Firmen aus Deutschland, Voith und Siemens, verantwortlich gehandelt? Ohne die Anwesenheit bei offiziellen Treffen, bei Telefonkonferenzen und Hinterzimmergesprächen, müssen diese Fragen ohne Antwort bleiben. Gleichwohl können Bundesregierung, Voith und Siemens an ihren politischen Handlungen gemessen werden, und daran, ob sie die öffentliche Unsicherheit in Honduras weiter verschärft haben.
Und diese Bilanz fällt wenig schmeichelhaft aus. Ein Jahr nach dem Putsch hatte die Bundesregierung ihre diplomatische Vertretung in der Hauptstadt Tegucigalpa wieder geöffnet. Verantwortungslos früh, so befanden Kritiker wie die entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Heike Hänsel, kam dies doch einer Anerkennung der damaligen De-facto-Regierung von Roberto Micheletti gleich, die über kein demokratisches Mandat verfügte und in die Gewaltwelle gegen Oppositionelle verstrickt war. Hunderte politische Morde während dem Putsch und in seiner Folgezeit sind bis heute weder aufgeklärt noch gesühnt. Über das PASS-Programm der Europäischen Union flossen damals zudem 44 Millionen Euro für eine „Demokratisierung der Sicherheitsorgane“ nach Honduras. „Wissen die Herren in Brüssel eigentlich“, fragte Berta Cáceres damals, „dass ein Großteil dieses Geldes an diejenigen geht, die für Terror und Straffreiheit mitverantwortlich sind?“
Bis heute unterhält die Bundesregierung freundschaftliche Beziehungen zu Honduras. Im vergangenen Oktober empfing Kanzlerin Angela Merkel Präsident Juan Orlando Hernández in Berlin, während in Honduras Hunderttausende dafür demonstrierten, Hernández wegen Korruption abzusetzen. Und während Umweltschützer weiter starben, die gegen ein Projekt mit deutscher Beteiligung protestierten.
Die Nichtregierungsorganisation Oxfam kommt zu dem Schluss, dass die Firmen Voith und Siemens mitzuverantworten haben, dass sich die öffentliche Unsicherheit nochmals verschärft habe. Und das nicht nur in Honduras. Siemens und Voith „sind mitschuldig an Menschenrechtsverletzungen in Ländern wie Honduras, Brasilien, Kolumbien und China, weil sie unter anderem Turbinen für Wasserkraftprojekte liefern, die mit Zwangsumsiedlungen, Gewalt und Morden durchgesetzt werden“, heißt es in der Oxfam-Veröffentlichung „Schmutzige Geschäfte mit Wasser“. Beide Firmen wurden von Anfang an über Menschenrechtsverletzungen und Morde im Zusammenhang mit Agua Zarca informiert. Auch darüber, dass der Bau des Staudammes auf dem Land der Indigenas gegen internationales Recht verstößt, da sie bis heute nicht zugestimmt haben. Für die Firmen Voith und Siemens war all das kein Grund, sich dauerhaft aus dem Projekt zurückzuziehen. Doch selbst, wenn sie das noch tun werden: Etwa ein Viertel der weltweit mit Wasserkraft erzeugten Energie stammt aus Kraftwerken, die mit Voith-Technologie betrieben werden.
Es sind widersprüchliche Nachrichten, die in diesen Tagen aus Honduras kommen. Die niederländische Bank FMO hat ihren endgültigen Ausstieg aus dem Staudamm Agua Zarca erklärt. Vielleicht ist dies der Anfang eines Umdenkens europäischer Finanziers und Firmen. Und vielleicht führt das zu mehr öffentlicher Sicherheit in den betroffenen Ländern. Gleichzeitig bleibt die politische Arbeit von Umweltschützern in Honduras gefährlich, lebensgefährlich. Erst jüngst wurde der COPINH-Aktivist Nelson García umgebracht, ohne großen Nachhall in internationalen Medien. Wie ein Damoklesschwert liegen die mehr als 40 Lizenzen für Minen und Staudämme über Honduras, die nach dem Putsch vergeben wurden.
Der Journalist Øle Schmidt lebt und arbeitet in Lateinamerika und Deutschland.
Es spricht einiges dafür, dass Honduras einmal mit Chile in einem Atemzug genannt wird. Dort bombardierten chilenische Militärs in den Mittagsstunden des 11. September 1973 den Präsidentenpalast der sozialistischen Regierung unter Salvador Allende. Danach war Chile ein Anderes. Erst kamen die Geheimgefängnisse und Folterschergen, dann wurde das Land zu einem internationalen Labor für neoliberale Kälte.
In Honduras entführten in den Morgenstunden des 28. Juni 2009 Militärs den liberalen Präsidenten Manuel Zelaya im Schlafanzug nach Costa Rica. Danach war Honduras ein Anderes. Es kamen die Auftragsmörder und Spitzel, und das Land wurde zum Experimentierfeld für einen Neoextraktivismus, der internationalen Firmen erlaubt, das Land mit unzähligen Minen und Staudämmen auszuweiden. Bei allen Unterschieden: Sowohl in Chile als auch in Honduras haben die Eliten die öffentliche Unsicherheit organisiert und ein Regime des Todes geschaffen – zur Durchsetzung eines radikalen politischen Projektes.