Mit der Hand gepflückt oder mit dem Stock geerntet. Der Olivenbaum ist ein Symbol des Überlebens.

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Olivenernte in Jerusalem
Biblische Gedanken zu Olivenbäumen und ihren Früchten als Friedenssymbol

Text Till Magnus Steiner
Bilder Till Magnus Steiner und Christoph Schönbach

Mit einem Stock schlägt ein kleiner palästinensischer Junge, nicht älter als acht Jahre, immer wieder auf ihn ein. Doch die Schläge bringen ihn nicht zu Fall. Er ist alt, gut zwei Meter groß und mit seiner Krone reicht er vielleicht sechs Meter in die Höhe. Meine Frau und ich stehen bei einem jüngeren, kleineren Baum und pflücken Oliven (so als wenn wir Äpfel pflücken würden). Viele israelische und palästinensische Familien sind heute in das Kreuztal in Jerusalem gekommen, um Oliven zu ernten. Es ist ein goldener Herbsttag. Der palästinensische Junge hat von allen eindeutig die lauteste Methode gewählt – aber auch wenn der Lärm die Idylle etwas stört, er macht es genau richtig. Bereits die Bibel berichtet, dass Olivenbäume durch das Schlagen auf den Stamm und auf das Geäst abgeerntet werden. So heißt es zum Beispiel im Buch Deuteronomium, Kapitel 24, Vers 20: „Wenn du einen Olivenbaum abgeklopft hast, sollst du nicht auch noch die Zweige absuchen. Was noch hängt, soll den Fremden, Waisen und Witwen gehören.“ Hier findet sich das Verb חָבַט (gesprochen: chavat), das soviel bedeutet, wie „schlagen“ oder „klopfen“. Die Olivenernte an sich hat etwas Gewalttätiges, doch die Methode spiegelt gemäß der Bibel auch Gerechtigkeit wider, denn der Baum kann so nicht vollends abgeerntet werden. Am Ende bleibt ein Teil der Oliven an den Zweigen – laut Bibel der Anteil der personae miserae; der Anteil derjenigen, die hilfs- und schutzbedürftig sind.

Der Olivenbaum selbst ist ein Symbol für Genügsamkeit und das Überleben unter widrigen Umständen. Er braucht wenig Wasser und eignet sich gut für das dürre Klima sowie die bergige Landschaft Israels und Palästinas. So wirft ein Olivenbaum in dieser Region alle zwei Jahre erstaunliche 100 bis 120 Kilogramm Oliven ab. Dementsprechend steht der Olivenbaum in der Bibel für Fruchtbarkeit und gesicherten Lebensunterhalt (vgl. Deuteronomium 6,4). Das aus den Oliven gewonnene Öl symbolisiert Reichtum und Segen (vgl. Deuteronomium 32,13). In der Prophetie Hoseas dient die Pracht des Olivenbaums gar als Vergleichspunkt für die ideale Zukunft Israels (Hosea 2,23-24). Mit all diesen Prädikaten versehen, verwundert es nicht, dass der Olivenbaum in der Jotam-Fabel (Richter 9,8-15) als König der Bäume gesehen wird. In dieser lehr- und märchenhaften Erzählung beschließen die Bäume, einen König zu erwählen und ihn zu salben. Da in biblischer Zeit Könige und Priester durch die Salbung mit Olivenöl eingesetzt wurden, ist es nicht verwunderlich, dass die erste Wahl auf den Olivenbaum fällt. Er aber weigert sich: „Soll ich mein Fett aufgeben, mit dem man Götter und Menschen ehrt, und hingehen, um über den anderen Bäumen zu schwanken?“ (Richter 9,9). Die Aussage kann man verschieden interpretieren. Eine positive Lehre, die vermittelt wird, ist sicherlich: Anderen Ehre und Kraft zu geben, ist bedeutender als selbst Gewalt auszuüben.

Bereits seit 6000 Jahren sind Olivenbäume in der Kulturgeschichte des Menschen belegt, wobei Griechenland, Syrien, Palästina und Israel als ihre Ursprungsländer gelten. In der Bibel ist der Zweig des Olivenbaums das Symbol des Anfangs der Menschheitsgeschichte nach der Sintflut. Zuerst sendet Noah eine erste Taube aus, die jedoch nirgends Land findet und zur Arche zurückkehrt. Nach sieben Tagen sendet er eine zweite Taube aus: „Gegen Abend kam die Taube zu ihm zurück, und siehe da: In ihrem Schnabel hatte sie einen frischen Olivenzweig. Jetzt wusste Noah, dass nur noch wenig Wasser auf der Erde stand.“ (Genesis 8,11). Nachdem Gott in Genesis 6,5-7 der verdorbenen Menschheit den Krieg erklärt hatte, ist die Taube mit dem Olivenzweig im Mund Symbol des Friedensschlusses. Diese Bildsprache hat sich heute universal durchgesetzt in der Symbolik der Friedenstaube.

Till Magnus Steiner ist katholischer Theologe. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Exegese des Alten Testamentes. Er lebt und arbeitet zur Zeit in Jerusalem.

Der Olivenbaum selbst steht in Psalm 52,10 für eine friedliche Existenz im Angesicht Gottes. Der Beter verwehrt sich gegenüber dem Mann der Gewalt und sagt über sich selbst: „Ich aber bin im Haus Gottes wie ein grünender Olivenbaum; auf Gottes Huld vertraue ich immer und ewig.“ Sicherlich wird der Psalmist dabei nicht an einen kleinen Jungen gedacht haben, der mit einem Stock auf ihn einschlägt, um ihn abzuernten. Er hatte wohl eher die Genügsamkeit dieser Bäume im Sinn, die reiche Ernte, die sie hervorbringen, sowie das hohe Alter, das sie erreichen. Für mich sind die Olivenbäume, deren Früchte wir zwischen Palästinensern und Israelis pflücken, ein Zeichen dafür, dass das manchmal triste Heilige Land genug für alle bietet. Unsere Portion haben wir heute gepflückt, nun werden wir sie einlegen und den Winter hindurch hoffentlich mit Genuss verzehren.

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