Ungleiche Bildung – ungleiche Lebenserwartung
Sind Klöster Vorbilder?


Referent Lars Schäfers ist das neue Teammitglied im Stadtdekanat Wuppertal

Text Lars Schäfers

Bildung zahlt sich aus – Menschen mit höherer Bildung sind seltener von Arbeitslosigkeit betroffen und erzielen im Laufe ihres Lebens oft ein höheres Einkommen als Personen mit einer beruflichen Ausbildung. Die Chance auf einen sozialen Aufstieg durch Bildung gehört insofern zu den Kernversprechen der modernen, leistungsorientierten Marktgesellschaften. Dieses Versprechen ist jedoch allzu oft nicht einlösbar: Zum einen ist die Chance auf einen höheren Bildungsabschluss, eine hohe berufliche Position und einen auskömmlichen finanziellen Lebensstandard hierzulande bekanntermaßen noch immer übermäßig stark von der sozialen Herkunft abhängig. Arbeiterkinder schaffen es noch immer zu selten in den Hörsaal und in die Chefetagen. Zum anderen gilt vermehrt, dass längst nicht jede hochschulische Bildung in jedem Fall die Chance zum sozialen Aufstieg bietet und darum auch die berufliche Bildung an Wert gewinnt.

Gebildete leben länger

Bildung ist darüber hinaus mehr als Ausbildung und verhilft so verstanden über ihren rein ökonomischen Ertrag hinaus dazu, ein selbstbestimmtes, nach eigenen Vorstellungen gutes Leben zu führen. In diesem Sinne bezeichnet „Bildung“ vor allem den im Idealfall lebenslangen Veränderungsprozess, in dem sich ein Mensch, das mit den Worten Friedrich Nietzsches „nicht festgestellte Thier“, durch eigene Initiative und in aktiver Auseinandersetzung mit der Welt ein individuelles Selbstbild formt. Bildung ist somit existenziell bedeutsam und wird auch kirchlicherseits zu Recht als ein Menschenrecht anerkannt. Sogar die Lebenserwartung ist unter anderem vom Bildungsstand abhängig. Menschen mit höherer Bildung und größerem Wohlstand leben nämlich im Durchschnitt länger – ein Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Sterblichkeit, der in allen Industrieländern zu beobachten ist und längst kein neues Phänomen mehr darstellt. So wird deutlich, dass es sich hierbei um ein zentrales Thema der Ungleichheitsforschung und zugleich um einen Ausgangspunkt vielfältiger sozialpolitischer Bemühungen handeln sollte.

Sterblichkeit im Kloster: Bildung macht hier nicht den Unterschied …

Umso bemerkenswerter ist es, wenn Wissenschaftler behaupten, einen Ansatz gefunden zu haben, mit dem sich der Einfluss von Bildung auf die Lebenserwartung nicht nur verringern, sondern sogar vollständig aufheben lässt. Dazu hat der Wissenschaftler Marc Luy vom Vienna Institute of Demography das Klosterleben als Studienfeld auserkoren: Ordensleute haben sehr ähnliche Lebensumstände: den gleichen Tagesablauf, eine ähnliche Ernährung, gleiche Wohnbedingungen, den gleichen Familienstand und den gleichen Glauben. All diese Faktoren haben Einfluss auf Gesundheit und Langlebigkeit. Zudem erlauben die umfangreichen Klosterarchive zahlreicher Ordensgemeinschaften eine detaillierte Rekonstruktion der Lebensverläufe ihrer Mitglieder über mehrere Jahrhunderte hinweg. Man hat herausgefunden, dass es keine statistisch bedeutsamen Unterschiede in der Sterblichkeit zwischen Ordensleuten mit höherem und solchen mit niedrigerem Bildungsgrad gibt.

… aber Klöster können Bildung

Dabei sind Klöster generell historische Stätten der Bildung. Monastische Gemeinschaften bewahrten Wissen, schufen Lernzentren, entwickelten das Klosterschulsystem, förderten wissenschaftliche Erkenntnisse und beeinflussten die Entwicklung des Universitätssystems. Im Mittelalter waren Klöster wichtige Träger von Bildung und Wissenschaft, wobei Klosterschulen oft den Zugang zu Bildung für junge Menschen, insbesondere für Frauen, überhaupt erst ermöglichten. Bildung spielt insgesamt für den christlichen Glauben und das diesem zugrunde liegende Menschenbild eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, das je einmalige Bild Gottes eines jeden Menschen herauszubilden. Von hier kommt letztlich auch der deutsche Begriff „Bildung“; geht er doch auf den mittelalterlichen Dominikaner Meister Eckhart zurück. Bildung spielt in Klöstern übrigens auch heute noch eine bedeutende Rolle – allerdings in anderer Form als in früheren Jahrhunderten. Dabei richten sich heute viele Angebote nicht nur an Ordensleute, sondern zunehmend auch an die allgemeine Öffentlichkeit. Insofern können Klöster Vorbilder in Sachen Bildungsengagement sein.

Bildungsarmut und die christliche Option für die Armen

Gleiche Ressourcenverteilung und Lebensumstände innerhalb von Klostermauern neutralisieren also die Wirkung des Bildungsstandes auf die Lebenserwartung. Was aber ist mit dem Befund gewonnen? Die Gesellschaft lässt sich nicht einmal ansatzweise klosterförmig gestalten, weshalb sich ernstzunehmende sozialpolitische Ableitungen aus dieser Studie in engen Grenzen halten. Es bleibt der nach wie vor unerlässliche Verweis darauf, wie wichtig es ist, in Bildung zu investieren und mehr Bildungsteilhabe zu gewährleisten. Bildung wird nämlich im politischen Reden und Programmen zwar häufig gefeiert, in Sachen Bildungsgerechtigkeit ist in Deutschland jedoch noch viel Luft nach oben. Bildungsgerechtigkeit ist daher ein Ziel, das jeden Einzelnen, aber auch die Gesellschaft insgesamt und inklusive der Kirchen betrifft. Bildungsarmut in all ihren Facetten ist ein Problem, das gemäß der christlichen Option für die Armen weit oben auf der politischen und kirchlichen Agenda stehen sollte.

Größere Gleichheit bei der Lebenserwartung anzielen

Bildungsdebatten können in Zeiten der Globalisierung und religiös motivierter Konflikte zudem nur schwerlich von der Sinn- und Gottesfrage absehen. Das Christentum als Bildungsreligion und christliche Bildung weisen insofern, den Horizont des Sichtbaren überschreitend, den Weg zu dem vom johanneischen Jesus verheißenen „Leben in Fülle“ (Joh 10,10). Leben in Fülle kann wiederum ganz diesseitig betrachtet auch ein möglichst langes Leben bedeuten. Größere Gleichheit bei der Lebenserwartung sollte es indes nicht nur in Klöstern geben. Wie dargelegt sollte Bildungsförderung für die Politik – nicht allein deshalb – ein hochrangiges Ziel bleiben. Machts wie die Mönche und setzt Bildung nicht nur in Sonntagsreden weit oben auf die Prioritätenliste, damit das Kernversprechen der Leistungsgesellschaft für mehr Menschen auch wirklich gelten kann.

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