Ausgabe 9, Juli 2013
„Irgendwo muss man einfach anfangen, sonst ändert sich gar nichts!“

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Wie eine Briefmarke eben
Dr. Birgit Timmermanns Einsatz für ein besseres Wuppertal

Text und Bild Janina Kusterka

Viele Dinge können eine Stadt prägen. Die Elbe prägt Hamburg. So wie der Dom Köln. Die Banken prägen Frankfurt. Doch ist es viel mehr, was eine Stadt ausmacht. Die Berliner Schnauze oder die schwäbische Kehrwoche beschreiben vor allem die Menschen dort. Die Schwebebahn prägt Wuppertal. Vielleicht wird die Stadt aber auch von der Vielfalt ihrer Bewohner geprägt. Und ganz vielleicht von deren Idealen. Birgit Timmermann hielt lange an einer Idee fest und brauchte Jahre, um sie zu verwirklichen. Sie arbeitete daran, dass auch fair gehandelter Kaffee im Rathaus Wuppertal zu einer „Fair Trade Town“ macht.

Was tun wir eigentlich für unsere Welt oder für unsere Stadt? Wir trennen Müll, sind gegen Atomkraft, für Gleichberechtigung und faire Löhne. Wir haben Umweltplaketten und erkaufen uns mit Bioprodukten ein reines Gewissen. Eigentlich funktioniert unser Wertesystem doch. Dann könnten wir uns ja zurücklehnen. Die Café-Latte-Generation sitzt jeden Tag bei Starbucks, und lehnt sich zurück. Ihre Angehörigen reden über dies und das. Und regen sich auch mal auf. Über dies und das. „Man müsste eigentlich mal...“, sagen sie manchmal. Sagen es, und trinken ihren Frappuccino mit Karamell-Geschmack.

Man müsste aufstehen und sich einsetzen, um eine Stadt mitgestalten zu können. Zum Beispiel fair gehandelten Kaffee im Rathaus durchsetzen, anstatt weiter Latte Macchiato in Kaffeehausketten zu trink

Wenn die Pflicht ruft, gibt es viele Schwerhörige

Birgit Timmermann gehört zu den Menschen, die diese gewisse Art Lebensfreude ausstrahlen. Mit dem Leben kennt sie sich aus, denn sie ist Ärztin in der Südstadt und sie ist im Katholikenrat aktiv. Sie engagiert sich kirchlich und sozial. Als Christin fühlt sie sich dem sozialen Engagement verpflichtet. Ihr Glaube treibt sie an, sich einzubringen, um Dinge zu verändern. Wenn sie sagt: „Man müsste mal“, dann traut man ihr zu, es auch anzupacken. Eines ihrer Projekte trägt den Titel „Fair Trade Town“ Wuppertal. Es dauerte zehn Jahre, bis Wuppertal diesen Titel 2010 zum ersten Mal verliehen bekam. Auch, weil im Rathaus jetzt fair gehandelter Kaffee serviert wird. Doch das ist nur eines der vielen Kriterien für den Titel. Fairer Kaffee im Rathaus – das hört sich erst mal nicht nach großen Veränderungen an. „Irgendwo muss man einfach anfangen, sonst ändert sich gar nichts!“, sagt Birgit Timmermann über soziales Engagement. „Wir haben nur einen geringen Einfluss und brauchen einen langen Atem.“

Der amerikanische Schriftsteller Josh Billings sagte einmal: „Sei wie eine Briefmarke. Bleibe an einer Sache dran, bis du am Ziel bist.“ In dieser Hinsicht ist Birgit Timmermann vielleicht wesensverwandt mit einer Briefmarke. Beharrlichkeit ist eine wichtige Eigenschaft, um Dinge anzustoßen, sagt sie. Um besser zu werden, brauche eine Stadt deshalb Menschen mit Idealen und Durchhaltevermögen. Und die Stadtplaner müssten vor allem die Menschen im Blick haben, die in der Stadt leben, und dürften sich nicht zu sehr nach Konsumkriterien richten. Rein profitorientiertes Denken könne einfach nicht der richtige Weg für eine gute Entwicklung einer Stadt sein, findet sie.

Auf den zweiten Blick

Was macht Wuppertal nun aus? Birgit Timmermann zog einst der Liebe wegen in diese Stadt und lernte sie lieben. Ausgerechnet in einer Sackgasse fand Birgit Timmermann das Glück. Im Stadtteil Ronsdorf wohnt sie zentral, mit einem schönen Garten und dank der Sackgasse ruhig. „Ich habe auch mal überlegt, wegzuziehen. Aber in einer anderen Stadt würde ich eine solche Lage nicht finden.“ Das Tal habe etwas zu bieten. Trotz aller Fehler und Mäkeleien könnte auch Wuppertal eine Stadt mit Zukunft sein. „Wir müssen aber etwas anders machen“, sagt Birgit Timmermann. „Wir dürfen es nicht wie die anderen Städte machen. Da können wir nicht mithalten.“ Leidenschaft und Engagement der Wuppertaler wären wichtig für die Weiterentwicklung ihrer Stadt.

Edelsteine der Architektur

Es gebe viele „architektonische Halbedelsteine“, sagt Birgit Timmermann. Besuchern zeigt sie am liebsten die kunstvollen Fassaden in der Friedrich-Engels-Allee und in der Hünefeldstraße. Dort stehen Häuser, die einen Charme versprühten, obwohl sie keine architektonischen Schönheiten im engeren Sinne seien. Ihre Schönheit werde erst auf den zweiten Blick deutlich. Es ließen sich Parallelen ziehen zwischen den Menschen dieser Stadt und den gemauerten Halbedelsteinen. Denn die Wuppertaler zeigten eine große Bereitschaft, zu helfen und sich zu engagieren, sagt Birgit Timmermann. Allerdings habe sie die Erfahrung gemacht, dass man sie direkt ansprechen und dazu auffordern müsse. Ehrenamtliche Arbeit ginge nicht ohne Supervision, denn auch den Helfern müsse geholfen werden. Daran fehle es manchmal leider noch, sagt Birgit Timmermann.

Bürgerliches Engagement

Mit Engagement kann eine Stadt im Kleinen verändert werden. Nicht nur Birgit Timmermann, sondern viele Bürger zeigen dies jeden Tag. Sie prägen die Stadt. Ohne die aktiven Wuppertaler wäre zum Beispiel das vielfältige Kulturangebot nicht möglich. Dies ist eines der vielen Dinge, die Birgit Timmermann an der Stadt schätzt. „Wenn ich in den Kalender schaue“, sagt sie, „dann möchte ich jeden Tag drei Veranstaltungen besuchen.“ Wuppertal kann Heimat und Ziel gleichermaßen sein. Zumindest, wenn wir die Stadt nehmen wie sie ist, um sie zu verändern. Dann kann Wuppertal wachsen, und auch die Café-Latte-Generation könnte ihre Tassen in den Kaffeehäusern abstellen. Aufstehen, mit anpacken, fair gehandelten Kaffee trinken und an ihren Zielen dran bleiben. Wie eine Briefmarke eben.

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