Ausgabe 8, März 2013

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Der Zaunpfahl des Papstes
Zum Rücktritt von Papst Benedikt XVI.


117 Kardinäle werden den Nachfolger Benedikts XVI bestimmen

Text Dr. Werner Kleine
Bild Christoph Schönbach

Es ist sicher keine Untertreibung, die Ereignisse vom 11. Februar 2013 als historisch zu bezeichnen. Der überraschende Rücktritt Papst Benedikts XVI am Rosenmontag kam selbst für Insider völlig unerwartet. Kein Wunder, dass die Spekulationen über die Gründe kurz nach Bekanntwerden der Pläne Benedikts XVI in zahlreichen Foren, Talkshows und Artikeln ins Kraut schossen. 

Nicht alles, was dort zu lesen, zu hören und zu sehen war, entsprang wohlüberlegter Reflexion. Was da die Besserwisser nicht alles von sich gaben. In der WDR-Sendung „Lokalzeit Bergisches Land” vom 11.2.2013 verstieg sich ein im Bergischen wohnender, als Mitarbeiter von Radio Vatikan ausgewiesener Interviewpartner, zu der Aussage, auf den Gängen des Vatikan sei von Demenz die Rede – eine Information, die völlig ungeprüft in Umlauf gebracht wurde. In der Ausgabe der gleichen Sendung tags drauf durfte ein junger Wuppertal unwidersprochen den Papst als „größten Abzieher” bezeichnen, ohne dass nachgehakt wurde, wie er denn zu dieser Aussage käme. 

Auch sonst war viel von den Versäumnissen des Papstes die Rede. Der kritische Theologe David Berger durfte in der ARD-Sendung „Beckmann” vom 14.2.2013 mehrfach darauf hinweisen, der Papst hätte ja den homophoben Äußerungen seiner Mitarbeiter nicht widersprochen – als wenn der Papst jedes Wort seiner Mitarbeiter zu kommentieren hätte. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth erwies sich als Meisterin der Redundanz; gleich mehrfach erhob die der katholischen Kirche nicht angehörende Politikerin das Lamento, jetzt müsse endlich etwas in Sachen Zölibat, Frauenordination und Sexualmoral getan werden. Und die jüngst aus der Kirche ausgetretene Journalistin Eva Müller durfte in den vergangenen Tagen ebenfalls mehrfach Werbung für ihr Buch „Gott hat hohe Nebenkosten” machen, in dem sie zwar die finanziellen Regelungen kirchlicher Einrichtungen offenlegt, darüber aber vergisst, dass dies keineswegs auf die Kirche beschränkte Sonderregelungen sind, und die Kirche andere Einrichtungen, die der Gesellschaft dienen, ganz oder zu großen Teilen selbst finanziert – wie zum Beispiel die katholischen Beratungsstellen für Ehe-, Familien- und Lebensfragen. 

Die Liste könnte hier noch lange fortgeführt werden. Und nur um das klarzustellen: Ich habe nichts gegen berechtigte Kritik; ganz im Gegenteil. Allerdings geht es hier nicht um berechtigte Kritik und konstruktive Auseinandersetzung. Was man da erleben konnte, hatte eher etwas von gehässigem Nachtreten und neurotischem Abarbeiten persönlicher Ressentiments, so dass Klaus Kelle in der Kolumne „Politisch inkorrekt” der Rheinischen Post vom 15.2.2013 unter dem Titel „Nach dem Papst-Rückzug: Feuer frei aus allen Rohren” völlig zu Recht feststellte: 

„Vorweg: Niemand muss katholisch oder überhaupt Christ sein, niemand muss an Gott glauben, und niemand muss überhaupt einen Papst mögen. Doch die Reaktionen eines Teils der deutschen Öffentlichkeit lassen mich am Verstand mancher Zeitgenossen zweifeln. (…) Kaum ein Blatt, kaum ein Sender, der die Top-Nachricht dieser Woche [gemeint ist die Woche nach dem 11.2.2013, WK] nicht nutzt, vornehmlich Gegner der katholischen Kirche im Allgemeinen und dieses Papstes im Besonderen ausführlich zu Wort kommen zu lassen.“ 

Was in dem ganzen Palaver unterging –auch weil niemand der professionellen Gesprächsleiter danach fragte, ist die Frage nach der Bedeutung, die dieser wahrhaft historische Schritt über den eigentlichen Rücktritt hinaus hat. Da verzichtet einer, dessen Titel immerhin „Stellvertreter Jesu Christi” ist, auf sein Amt. Das müsste doch eigentlich allen, die so gerne die vermeintliche Machtbesessenheit der Kirche beklagen, in den Ohren klingeln. Denen, die sich immer noch nach der „ecclesia triumphans” – der triumphierenden Kirche – sehnen, klingelt es jedenfalls in den Ohren. So twitterte der konservative Kirchenrechtler Alexander Pytlik: 

„Wenn ein Tyrann vor Rom stünde oder dem Papst die Muttergottes in einer Privatoffenbarung gesagt hätte, per 28. 2. zurückzutreten: nur dann.“ 

oder: 

„Unbegreiflich: bis jetzt hat kein Kardinal Bischof zu Gebetssturm Gebet aufgerufen, daß Papst seine fehlbare Entscheidung zurücknehme. ” (sic!) 

Auch der Rechtsanwalt der Piusbrüder, Dr. Maximilian Krah, betont in einem Tweet: 

„Ein Papst hat im Amt zu sterben. Das Herabsinken des Papstamtes zu einem Posten auf Zeit ist ein großer Schaden.“ 

Besonders deutlich wird die historische Dimension der Erklärung des aus freien Stücken und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte erfolgten Rücktritts Papst Benedikts XVI in einer Äußerung der Erzbischofs von Krakau, Stanislaw Dziwisz: 

„Dziwisz verwies darauf, dass Karol Wojtyla, Papst vor Ratzinger, trotz schwerer Erkrankung zu jener Zeit nicht von seinem Amt als Papst zurückgetreten sei. Er vertrat die Ansicht, ’man steige nicht vom Kreuz herab’, wurde Dziwisz zitiert.“ (Quelle: ZDF-Hyperland. Darüber spricht das Web) 

Die Äußerungen von Erzbischof Dziwisz, die er am selben Abend dahingehend relativierte, er wolle nicht die beiden Päpste vergleichen, sorgten nicht zuletzt deshalb für Irritationen, weil er der Privatsekretär Johannes’ Pauls II war. Die Irritation ist wohl begründet. Stand Johannes Paul II genau als Stellvertreter Jesu Christi dafür ein, sein Amt bis zum letzten Atemzug auszufüllen und gerade auch sein Leiden zum Tode als Konsequenz dieser Nachfolge zu verstehen, setzt Benedikt XVI, der schon zu Lebzeiten Johannes’ Pauls II den Rücktritt eines Papstes als Möglichkeit in Erwägung gezogen hat, ein radikal neues Zeichen: Im Vordergrund steht hier nicht der Stellvertreter Jesu Christi, sondern der Diener Gottes. Benedikt XVI liegt das Wohl der Kirche am Herzen, die gerade in diesen kritischen Zeiten eine gute und starke Führung braucht. Das Schiff der Kirche muss in ein neues Fahrwasser gesteuert werden – und offensichtlich hat Papst Benedikt XVI, der unzweifelbar für die Synthese von Glaube und Vernunft steht, bemerkt, dass er diese Gewässer nicht mehr gut genug kennt und ihm die Kräfte fehlen, sie zu erkunden. Das nenne ich Verantwortung für das Volk Gottes. Das hat jeden Respekt verdient. Und: das ist neu und modern! 

Der Berliner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki stellt deshalb lakonisch fest: 

„Der Papst hat mit seinem Rücktritt das Amt entzaubert. (…) Das Papstamt wird dadurch entmystifiziert. Und das ist auch gut so.“ (Quelle: Berliner Morgenpost, 12.2.2013) 

Genau das ist die überragende Symbolik des Rücktritts von Benedikt XVI, die vielleicht erst mittel- oder langfristig erkannt wird. Der Papst ist und bleibt ein Mensch und nicht Gott. Heilig ist seine Aufgabe, nicht unbedingt die Person. Es geht nicht um Macht, sondern um Dienst – ein Dienst am Volk Gottes. Davon können viele, die sich „Erwählte”, also „Kleriker” nennen, lernen. Berufung erscheint plötzlich relativ: Sie ist keine Berufung um ihrer selbst willen,  sondern für das Volk Gottes. 

Wer weiß, welche Konsequenzen dieser Rücktritt noch zeitigen wird. Was bedeutet die Zeitlichkeit des Papstamtes für das Unfehlbarkeitsdogma? Muss die kirchliche Hierarchie jetzt nicht völlig neu definiert werden? Geht es in dieser Hierarchie wirklich um eine Oben-unten-Relation oder um ein Miteinander der verschiedenen Charismen auf Augenhöhe in dem einen Leib Christi? Und überhaupt: Was wird jetzt aus den ganzen Papalatristen der Generation Benedikt oder dem Bildreporter Andreas Englisch, der – so hat man bisweilen den Eindruck – sein Lager auf der Fußmatte des apostolischen Palastes aufgeschlagen hat? Was wird aus all den Vorzeigekatholiken, die als Psychiater, Spiegeljournalisten oder K-TV-Chefredakteure in den Talkshows vorgeben, den wahren katholischen Glauben zu vertreten? Sie alle vergessen allzu schnell das Wort aus dem Lukasevangelium: 

„Und er (der Teufel) sagte zu ihm (Jesus): All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen, und ich gebe sie, wem ich will. Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören. Jesus antwortete ihm: In der Schrift steht: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.“ (Lukas 4, 6-8) 

Nein: Macht steht der Kirche nicht. Papst Benedikt XVI winkt mit dem Zaunpfahl. Manch einer, der nicht versteht, hat deshalb zu Recht Kopfschmerzen.

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