Ausgabe 19, April 2018

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Die polarisierte Gesellschaft
Islamismus-Experte Ahmad Mansour über die Entwicklung islamischer Jugendkultur


Ahmad Mansour ist Psychologe und Autor. Er lebt und arbeitet in Berlin. Foto: Pamela Haling

Interview Jörg Degenkolb-Değerli

Eine Pizzeria in der Elberfelder Nordstadt. Zwei ca. 7jährige türkischstämmige Jungs unterhalten sich über Fußball. Junge A: „Wenn Deutschland und die Türkei bei der Weltmeisterschaft mitmachen ... für wen bist du dann?“ Junge B: „Natürlich für die Türkei! Das ist meine erste Heimat!“ --- Das wirft Fragen auf. Warum betont ein kleiner Junge so vehement den Begriff Heimat? Warum sieht ein kleiner Junge, der ziemlich wahrscheinlich hier geboren wurde und hier aufwächst, eine Heimat ganz woanders? Was bekommt so ein Kind erzählt und vermittelt? Und was wird daraus? Jörg Degenkolb-Değerli hat sich für logisch! mit einem Mann unterhalten, der als Islamismus-Experte gerade auch auf die islamische Jugendkultur blickt. Ahmad Mansour kommt aus Israel, ist Diplom-Psychologe und lebt seit dreizehn Jahren in Deutschland, wo er sich für Demokratie, Gleichberechtigung und friedliches Zusammenleben einsetzt und sich mit Projekten und Initiativen gegen Radikalisierung, Unterdrückung im Namen der Ehre und Antisemitismus in der muslimischen Community beschäftigt.

Zu dem Beispiel mit den beiden Jungs meint er:

„Es ist ja zunächst einmal gut, dass die Globalisierung es ermöglicht, dass man heute die Wahl hat, wo man die Heimat sieht. Man kann sich ja durchaus positiv einer Heimat verbunden fühlen und das muss auch möglich sein. Aber: Das wird im klassischen Patriarchat nicht vermittelt. Da bedeutet Heimat Abgrenzung. Alle anderen werden ausgeschlossen. Und da kommt natürlich der Begriff Nationalismus ins Spiel.“

Ist das denn das gängige Modell? Sind die erwähnten Jungs die Regel?

„Man kann sagen, dass das sehr vielen Kindern so vermittelt wird, ja. Ein klarer Hinweis auf gescheiterte Integration. Da fehlt es seit langem an Konzepten.“

In Wuppertal leben seit Jahrzehnten Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen überwiegend friedlich neben- oder bestenfalls miteinander. Nun grenzen sich aber gerade die Jüngeren, die 3. und auch 4. Generation, zunehmend ab, pochen auf ihren Wurzeln und zeigen sich oft weniger anpassungsbereit. Ist das nur gefühlt so?

„Die Jüngeren machen die Probleme jedenfalls sichtbarer. Sie wollen rebellieren. Das wiederum hängt mit der Entwicklung in der muslimischen Welt zusammen. Zwar wird schon seit über 20 Jahren missioniert und versucht, junge Menschen aus unserer Gesellschaft herauszuholen, aber der erstarkte Islamismus und Salafismus treiben das noch weiter voran.“

Das scheint ja eine gewisse Faszination auszuüben. Zum Straßenbild gehören ja z. B. junge Männer, die auf den ersten Blick wie der nette Hipster von nebenan aussehen; bei näherer Betrachtung erkennt man dann aber arg nationalistische Tattoos – beispielsweise die türkische Flagge auf dem Arm, Mond und Stern am Hals, ein Türkiye-Schriftzug, das „Wolfsgruß“-Handzeichen der Grauen Wölfe ... Wie beurteilt das der Diplom-Psychologe?

„Auch das gehört zum Schockieren. Und soll natürlich eine Zugehörigkeit, eine Identität demonstrieren. Die Grauen Wölfe sind genauso menschenverachtend wie andere Nazis auch. Und diese jungen Männer, denen es hier an Orientierung fehlt, finden diese Form der Macht wirklich sexy. Sie fühlen sich auserwählt, einer Elite anzugehören. Die Islamisten schaffen es, junge Menschen zu missionieren, ihnen so etwas wie sozialen Halt zu geben, Werte zu predigen. Sie behaupten, das sei gottgewollt. Und manche jungen Leute glauben ihnen.“

Wie bildet sich aktuell denn eigentlich eine islamische Jugendkultur ab? Gibt es zwei Lager – offen und radikal?

„Nein, so einfach ist es nicht. Davon abgesehen, dass das Ganze ein ständiger Prozess ist, gibt es auch eine entsprechende Durchmischung. Aber ich möchte es mal so ausdrücken: Oft sind diese jungen Menschen keine Demokraten. Und hier wird dieses Religionverständnis zum Problem. Weil damit Politik gemacht wird. Natürlich gibt es aber ganz klar auch die andere, weltoffene islamische Jugendkultur – und das ist für unsere Gesellschaft auch besonders wichtig.“

Und was bedeutet das alles jetzt für den Alltag in Schulen, Wohnblocks, auf der Straße?

„Nun ja, wir haben es mit einer gefährlichen Generation zu tun! Schon ganz junge lehnen z. B. Geschlechtergerechtigkeit ab, und Jugendliche verstehen Religion hier als Gesetz. All das ist dem besagten Patriarchat geschuldet.“

Was prognostizieren Sie diesbezüglich für die nähere Zukunft?

„Ich kann leider keine positive Prognose abgeben. Diese Entwicklungen werden die Gesellschaft weiter polarisieren und es mangelt nach wie vor an Bewusstsein in der Politik. Ehrlich gesagt macht mir das Angst.“

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