Ausgabe 19, April 2018

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Zwischen verrückt und verrückend
Das Kultur- und Gemeindezentrum „Berliner Plätzchen“ bietet Begegnung – und neue Blickwinkel

Das Berliner Plätzchen ist am Berliner Platz gut sichtbar, gerade da es sich von den umliegenden Geschäften unterscheidet.

Text Max Moll
Bild Christoph Schönbach

Wer sich für einige Minuten im „Berliner Plätzchen“ in eines der Schaufenster mit Blick auf den Berliner Platz setzt, sich selbst dort in gewisser Weise aussetzt, kann zumindest in Ansätzen erfahren, um was für einen Ort es sich handelt, hier an der Berliner Straße, Ecke Langobardenstraße in Wuppertal-Oberbarmen. Die katholische Kirchengemeinde im Seelsorgebereich Barmen-Nordost hat sich hierhin verrückt. Weg von der immer weiter abnehmenden Kirchturmreichweite, hin zu einer Straße des Lebens. „Verrücken“ wird in diesen Zeiten als notwendig angesehen, um eine neue Perspektive einnehmen zu können. Wer sich selbst verrückt, der sieht die Dinge aus einem anderen Blickwinkel, und kann auch sich selbst in der Reflexion und der Auseinandersetzung mit anderen aus einem ganz anderen Blickwinkel wahrnehmen. In diesem Sinne versteht sich das „Berliner Plätzchen“ als ein verrückender Ort. Er verrückt die Perspektiven der Gemeindemitglieder und die entsprechenden Haltungen, aus pastoraler und seelsorgerlicher Sicht.

Denn aus dieser verrückten Perspektive werden die Menschen in den Blick genommen, die am und rund um den Berliner Platz in Oberbarmen leben, und dort ihren Aufgaben des Alltags nachgehen. Es geht uns Machern des Berliner Plätzchens auch darum, die rund 40.000 Menschen im Quartier Oberbarmen im Blick zu behalten, die mit der katholischen Kirche nicht oder nur in vereinzelten Situationen im Kontakt stehen. Dies entspricht auch dem Wunsch Kardinal Woelkis, der in seinem Fastenhirtenbrief 2015 formulierte, auch „die anderen 85 bis 90 Prozent im Blick [...] zubehalten“.

Und so ist eine der ersten Fragen, die Menschen stellen, die neu im „Berliner Plätzchen“ sind: „Was ist das denn hier?“ Und in der Tat, dieser Ort auf dem Berliner Platz lässt sich nicht so einfach kategorisieren, auch wenn es verschiedene Medien bereits versucht haben. Es ist keine Kneipe, wie selbst manche katholische Mitbürger meinen, und es ist auch kein Sozialcafé. Es ist ein Kulturort und es ist ein Raum der Gemeinde und es ist ein Veranstaltungsort und es ist ein Ort der Seelsorge. Und: es ist noch viel mehr. Das „Berliner Plätzchen“ ist ein Begegnungsort gleich im dreifachen Sinne. Es ist ein Ort, an dem man sich selbst begegnen und mit sich selbst auseinandersetzen kann. Es ist ein Ort, an dem man anderen Menschen begegnen kann, unabhängig von Herkunft, Einkunft und sozialer Stellung. Und das „Berliner Plätzchen“ ist ein Ort, an dem eine Gottesbegegnung möglich ist – eben weil sich Menschen hier selbst und anderen begegnen können.

Etwa beim MollTalk, bei dem mehr und weniger bekannte Gäste Stellung beziehen. Zuletzt hatte ich als Moderator Oberbürgermeister Andreas Mucke zu Gast, Thema war die Quartiersentwicklung. Die von der Katholischen Citykirche etablierte Veranstaltungsreihe „Dei Verbum direkt“, wird live aus dem „Berliner Plätzchen“ über Facebook gestreamt. Es gibt die musikalisch-kulinarische Sommerkonzertreihe „Zwei Drei Viertel“, das Aschekreuz To Go, ebenfalls in Kooperation mit der Katholischen Citykirche, und jahreszeitspezifische Veranstaltungen. Wöchentliche und regelmäßige kostenlose Angebote ergänzen die teils einmaligen Aktionen. Die Praxis Seelsorge berät an jedem Mittwoch zwischen 12 und 14 Uhr, Donnerstagvormittag öffnet das Eltern-Kind-Café für Eltern und ihre Kleinkinder. Ebenfalls am Donnerstag können sich im Teesalon Einheimische und Flüchtlinge begegnen. Prio A, ein Projekt von Gesa und Jobcenter, bietet jeden Montag und Donnerstag eine kostenlose Beratung zu allen Fragen der Jobsuche an. Zusätzlich gibt es im „Berliner Plätzchen“ einen Kühlschrank für Foodsharing, aus dem innerhalb der Öffnungszeiten kostenlos Lebensmittel entnommen werden können.

Trotz der Vielfalt der Aktivitäten und Formate im Berliner Plätzchen ist eines gemeinsam: Es werden individuelle und besondere Zugänge zum christlichen Glauben ermöglicht. Dabei geht es nicht um Niederschwelligkeit, sondern darum, sich mit herausfordernden Situationen auseinanderzusetzen. Denn der christliche Glaube ist nicht niederschwellig, er fordert vielmehr die Menschen in ihrem Dasein heraus. Das symbolisieren auch drei Stufen, die auf dem Weg in den Hauptraum des Plätzchens erst überwunden werden müssen.

Das „Berliner Plätzchen“ steht auch anderen Gruppen, Vereinen und Einzelpersonen offen, die eine Idee haben und einen Raum suchen, sofern sie bereit sind, sich den Blicken und Reaktionen der Vorübergehenden auszusetzen.

Das „Berliner Plätzchen“ will ein verrückter und verrückender Ort sein. Und dieser Ort wird gebraucht, mehr denn je. Es kann und will nicht kategorisiert werden, sondern lebt von der Spannung der Begegnung im Verrückten und Verrückenden – um Menschen mit christlichem Glauben zu verbinden und zu berühren.

Max Moll ist künstlerischer Leiter des Gemeindezentrums „Berliner Plätzchen“ im Wuppertaler Osten.

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