Ausgabe 15, September 2015

Zurück zur Übersicht

Privatsache Ehe?
Der öffentliche Auftrag der Ehe und der neu entdeckte Wert der Partnerschaft

Text Dr. Werner Kleine

In den alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, reichte das ausgesprochene oder geschriebene Wort, um einen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen. In diesen märchenhaften Zeiten erfüllten Feen die Befindlichkeiten des Einzelnen. Wer aber des Zauberns nicht mächtig war, der musste wie Hans im Glück manche Last ertragen, um vom Kind zum Erwachsenen zu reifen. Der Illusion verwunschen-naiver Traumwelten entwachsen, weiß der mündig gewordene Mensch inzwischen, dass Wünschen alleine eben nicht hilft und die eigene Befindlichkeit mit der anderer konkurriert. Die Notwendigkeit des steten Aushandelns des gesellschaftlichen Konsenses gehört zu den Mühen, denen sich der Mündige immer neu stellen muss. Dazu gehört immer auch eine Vergewisserung der Begriffe. Menschen können sich nur dann verständigen, wenn sie eine gemeinsame kommunikative Grundlage haben und sie Begriffe in gleicher Weise verwenden. Nicht umsonst findet sich die Klärung relevanter Begriffe deshalb auch in Gesetzeswerken wieder.

Die gesellschaftlichen Debatten der Gegenwart zeigen, wie notwendig eine solche gemeinsame Verständigung ist. Wer die Kommentarspalten von sozialen Medien und Online-Artikeln liest, erkennt schnell, dass die märchenhaften Zeiten, in denen das Wünschen noch geholfen hat, wieder beschworen werden. Insbesondere die Debatte über die Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ist von einer solchen Haltung geprägt, die im „Gefällt mir“-/“Gefällt mir nicht“-Modus stattfindet. Diejenigen, denen die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare nicht gefällt, werden meist sofort als rückständig und intolerant gebrandmarkt. Dabei ist diese Debatte zu wichtig, als dass man sie auf diesem Niveau führen darf. Notwendig erscheint hier vor allem eine Klärung der verwendeten Begriffe und deren Bedeutung.

Tatsächlich ist eine erhebliche Unschärfe zu beobachten, was den Begriff „Ehe“ angeht. Der Volksmund hat sich längst entschieden: Ehe ist Privatsache und eine möglichst romantische noch dazu. Die romantische Sicht von Liebe steht über allem. Das entspricht sicher dem Befinden vieler Paare. Die Art und Weise wie heute vielfach Hochzeit gefeiert wird, ist dafür symptomatisch. Der schönste Tag im Leben ist eben wie im Märchen, wo Prinz und Prinzessin sich zum Schluss das Ja-Wort geben. Liebe kann nie wirklich Sünde sein.

Märchen enden mit der Hochzeit. Vom grauen Alltag keine Spur. Im wahren Leben aber bildet die Hochzeit einen öffentlichen Rechtsakt, mit dem ein Rechtsinstitut von gesellschaftlichem Interesse begründet wird, für dessen Basis Liebe zwar wünschenswert, aber nicht unbedingt notwendig ist. Wie wenig privat eine Ehe ist, zeigt sich allein schon daran, dass alle Religionen und Gesellschaften das Eingehen einer Ehe rechtlich regeln und damit der privaten Befindlich- und Beliebigkeit entziehen.

In diesem Zusammenhang fällt auf, dass Ehe auf Familie bezogen ist. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland etwa stellt in Artikel 6 Ehe und Familie als Institution unter den besonderen Schutz des Staates. Ehe und Familie werden in einem Atemzug genannt. Sie gehören in sich zusammen. Ehe ist auf die Gründung von Familie ausgerichtet. Gerade deshalb ist sie von öffentlichem Interesse, weil die Familie das nach Ansicht des Verfassungsgebers ideale Umfeld für das Heranwachsen der Kinder ist. Die Privilegierung der Ehe leitet sich nicht von der Partnerschaft an sich ab, sondern von der gesellschaftlichen Notwendigkeit der biologischen Fortpflanzung.

Sicher kann kein Zweifel daran bestehen, dass gleichgeschlechtliche Paare gute und fürsorgliche Eltern sein können. Trotzdem: Kinder wachsen nicht auf Bäumen, sondern entstehen aus der intimen Begegnung von Frau und Mann. Dieser Aspekt spielt gerade auch für das Ehe- und Familienverständnis der katholischen Kirche eine besondere Rolle. Im Zusammenhang des biblischen Schöpfungsberichtes heißt es nicht nur, dass Gott den Menschen als Mann und Frau erschuf; Gott gibt dem Menschen als Mann und Frau auch einen schöpferischen Auftrag: „Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch.“ (Genesis 1,28)

Es ist dieser göttliche Schöpfungsauftrag, der der Ehe aus katholischer Sicht einen besonderen Wert verleiht. Die Ehe ist die Verbindung einer Frau und eines Mannes, die potentiell die Zeugung von Nachkommen einschließt. Die katholische Kirche betrachtet eine solche Verbindung gerade wegen ihres Bezuges zur Schöpfung als Sakrament, das mit einem eigenen Ritus begründet wird – anders als die evangelische Kirche, die im strengen Sinn keine eigene kirchliche Hochzeit kennt, sondern lediglich die Segnung einer Verbindung, die vor dem Standesamt geschlossen wurde. Von daher kann man in diesem Punkt das katholische Verständnis nicht einfach gegen ein evangelisches Verständnis ausspielen.

Die potentielle Zeugung von Nachkommen ist für das katholische Eheverständnis konstitutiv. Wo sie willentlich ausgeschlossen wird oder durch eine entsprechende physische Veranlagung unmöglich ist, kommt keine Ehe zustande. Das betrifft heterosexuelle Paare ebenso wie homosexuelle Paare, die eben aus sich heraus keine Kinder zeugen können. Das ist der Grund, warum aus Sicht der katholischen Kirche gleichgeschlechtliche Paare keine Ehe schließen können. Aus demselben Grund hat der Gesetzgeber unter der Führung der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2001 eben keine Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ermöglicht, sondern mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz ein der Ehe vergleichbares, aber doch mit Blick auf die faktische Bedeutung der Ehe für die Familiengründung eigenes Rechtsinstitut geschaffen. Die Ehe hat eine eigene gesellschaftliche Bedeutung und Funktion. Sie ist deshalb material von der Lebenspartnerschaft verschieden. Hier geht es nicht um Diskriminierung, sondern um eine unterschiedliche Bedeutung der jeweiligen Rechtsinstitute für die Gesellschaft, die auch unterschiedlich auszugestalten sind. Das eine ist nicht besser als das andere. Sie sind einfach anders.

Freilich wird auch auf staatlicher Ebene die Bedeutung der Ehe als Basis der Familie neu justiert. Die Ehe als Steuersparmodell kommt neu auf den Prüfstand, wenn über die Einführung eines Familiensplittings statt des bisherigen Ehegattensplittings nachgedacht wird. Auch hier steht – ob man von Ehe spricht oder nicht – vor allem die Privilegierung der Familie als Ort im Mittelpunkt, wo Kinder leben und aufwachsen.

Die Ehe hat offenkundig eine Bedeutungsverschiebung erfahren. Der Volksmund hat sie längst vollzogen. Die Hinordnung der Ehe auf die Familie ist nicht mehr zentral im Bewusstsein der Menschen. Die gelingende Paarbeziehung als solche steht immer mehr im Mittelpunkt. Tatsächlich hat eine auf Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Verantwortung gründende Partnerschaft, sei sie gleich- oder andersgeschlechtlich, einen Wert in sich. Dieser Wert von Partnerschaft an sich ist der katholischen Kirche nicht unbekannt, aber er stand bisher nicht im Mittelpunkt der Reflexion. In der katholischen Kirche ist freilich längst der Weg beschritten worden, den Wert von Partnerschaft näher zu beleuchten. „Freundschaft“ ist ein hoher Wert im Neuen Testament. Es ist eigentümlich, dass dieser Aspekt bisher viel zu wenig beachtet wurde – auch in der Liturgie. Aber es bleibt etwas anderes als Ehe, weil hier die Hinordnung auf die potentielle Zeugung von Nachkommenschaft eine grundlegende Bedingung ist.

Die gesellschaftliche Realität stellt Kirche und Gesellschaft auch weiterhin vor neue Herausforderungen. Während der Gesetzgeber durch Herstellung entsprechender Mehrheiten die gesetzlichen Grundlagen verhältnismäßig einfach anpassen kann, weiß sich die Kirche dem Wort Gottes verpflichtet. Das mag man mögen oder nicht. Doch es ist für die Kirche konstitutiv. Die Kirche hat freilich die Aufgabe, mit Blick auf die Realität der heutigen Gesellschaft das Wort Gottes neu zu befragen. Und das Wort Gottes zeigt Möglichkeiten auf. Es liegt ein neuer Weg vor der Kirche. Neue Wege machen immer Mühe; eine Mühe, die sich diejenigen, die vorschnell urteilen, leider nicht machen.

Information

Der Autor dieses Beitrages hat im Webblog www.dei-verbum.de zwei Beiträge über die biblische Dimension von Ehe und Partnerschaft veröffentlicht:
Ehe bleibt anders und Freundschaft ist der Weg

Zurück zur Übersicht