Ausgabe 15, September 2015

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Über den Unterschied von Campingurlauben und Zeltstädten
Ein Kommentar zur Flüchtlingsdebatte in Deutschland

Das Thema Grenzen und Flüchtlinge hat in Deutschland, wie vielleicht in keinem anderen Land, Spuren hinterlassen: Der Mauerpark in Berlin-Mitte.

Kommentar und Foto Janina Kusterka

Vielleicht hilft ja ein wenig Sarkasmus in der emotional erhitzen Debatte über die Ankunft fremder Menschen in unserem Land. Wie wäre es zum Beispiel mit folgenden Thesen? Die diesjährigen Heimkehrer aus dem Urlaub haben gegenüber Flüchtlingen zwei entscheidende Vorteile. Erstens: Wenn sie in Zelten geschlafen haben, dann nannte sich das Camping und nicht Zeltstadt. Zweitens: Ihr – deutscher – Reisepass ermöglichte es Ihnen, zurück in ein sicheres Zuhause (Erstland) zu gelangen. Ganz egal, ob sie von der abenteuerlichsten Safari zurückkamen. Oder die größte Gefahr darin bestand, von hungrigen Touristen am Büfett überrannt zu werden – und nicht von wilden Gnuherden.

Lebendig im sicheren Europa angelangt, erwartet die Flüchtlinge nicht das, was sie sich erhofften. Das trotz eigener Probleme immer noch privilegierte Europa schreit auf und fürchtet sich vor Menschenmassen, die auf das Festland zusteuern. Ach, was heißt zusteuern? Die auf das Festland zutreiben. In Calais hausen hunderte Flüchtlinge unter katastrophalen Bedingungen, die verzweifelt versuchen nach England zu gelangen, bevor die Sicherheitsposten dort weiter verstärkt werden. Sie bringen sich in Lebensgefahr, weil sie zu ihren Verwandten wollen, zu ihrer Familie, die sie nach den meist traumatischen Erlebnissen ihrer Flucht auffangen sollen. Diesen Wunsch haben im Eurotunnel einige Flüchtlinge bereits mit ihrem Leben bezahlt.

Europa ist überfordert mit der Situation. Die Länder streiten sich, wer welche Flüchtlinge aufnehmen muss. Österreicher, Italiener und Deutsche kontrollieren die Züge aus Italien und brechen europäisches Recht, indem sie unbegleitet reisende Minderjährige aus den Zügen werfen und zurückbringen.

Til Schweiger plant jetzt, ein Flüchtlingscamp zu bauen. Was auch immer man von den Filmen Schweigers hält, an seinem Engagement können wir uns ein Beispiel nehmen. Doch ist es gleichzeitig ein Armutszeugnis für die Politik, wenn ausgerechnet Til Schweiger mit einem Mal zum Vorbild avanciert. Turnhallen werden zu Lagern, Zelte zu Campinganlagen, wo wirklich niemand Urlaub machen möchte.

Es ist nur wenige Jahrzehnte her, dass viele Deutsche auf der Flucht waren. Sie kamen aus den Ostgebieten und hatten kaum mehr, als sie am Leibe trugen. Viele haben das vergessen. Haben vergessen, welche Not hinter einer Flucht steckt. Doch zum Glück haben es nicht alle vergessen: Bürger fühlen mit den Flüchtlingen von heute mit und lassen eine Willkommenskultur entstehen. Sie sammeln Kleidung, nehmen Fremde in ihre Häuser auf – oder bauen eben Flüchtlingsheime. Ein Willkommensgruß kann so einfach sein, wie Sven Latteyer zeigte, ein Busfahrer aus Erlangen. Er machte eine wichtige Durchsage, nachdem 15 Flüchtlinge in seinen Bus eingestiegen waren: „Excuse me Ladies and Gentlemen, from all over the world in this bus – I want to say something. I want to say welcome. Welcome to Germany, welcome to my country. Have a nice day!“ (Auf Deutsch: Meine Damen und Herren aus der ganzen Welt in diesem Bus, ich möchte etwas sagen. Ich möchte Sie willkommen heißen – Willkommen in Deutschland, willkommen in meinem Land. Haben Sie einen schönen Tag!)

Diese Willkommenskultur muss in der Politik ankommen. Es sind nicht illegale Migranten, asylmissbrauchende, echte oder falsche Flüchtlinge, die zu uns kommen. Es sind Menschen, die in Not geraten sind und Hilfe brauchen. Wir müssen sie retten, so schwer es vielleicht ist. Wir müssen Anteil an ihrem Schicksal nehmen und ihnen auf die Beine helfen. Dafür darf aber nicht allein die Bevölkerung sorgen müssen, so sehr sich auch einige bemühen. Die Politik muss Lösungen erarbeiten, würdig mit den Menschen umzugehen, sie und ihre Familien zusammenzuführen, und ihnen ein würdiges Leben mit Aufgabe und Beschäftigung zu ermöglichen. Es rächt sich jetzt, dass in den letzten Jahren mögliche Flüchtlingsunterkünfte verkauft wurden. Es rächt sich, dass der soziale Wohnungsbau in vielen Gegenden zu wenig vorangetrieben wurde. Die Politik muss diese Versäumnisse der Vergangenheit schnellstmöglich korrigieren.

Doch auch die Bevölkerung kann bis dahin einiges tun. Sie kann Flüchtlinge in ihrem Land, in ihrem Haus oder ihrem Bus willkommen heißen. Sie kann tun, was Anja Reschke kürzlich in ihrem Tagesthemen-Kommentar forderte: „Wenn man also nicht der Meinung ist, dass alle Flüchtlinge Schmarotzer sind, die verjagt, verbrannt oder vergast werden sollten, dann sollte man das ganz deutlich kundtun, dagegen halten, Mund aufmachen, Haltung zeigen, öffentlich an den Pranger stellen.“

Auch wenn es eine noch so kleine Geste ist, möchte ich dieser Forderung jetzt nachkommen: Liebe Damen und Herren aus der ganzen Welt, liebe Flüchtlinge, ich kann Ihnen Ihr Leid nicht abnehmen, aber ich möchte Sie aufs herzlichste Willkommen heißen! Ich hoffe, Sie leben sich schnell hier ein. Und wer weiß, vielleicht fahren Sie irgendwann sogar einmal campen, und schlafen in einem Zelt – ganz freiwillig und mit viel Vergnügen.

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