Ausgabe 14, April 2015

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Wie wäre es mit einem frischen Steingrau?

Wenn das Kunst ist, kann es weg

Glosse Janina Kusterka
Bilder Christoph Schönbach

Jede Stadt hat ihren eigenen Charakter und ein anderes Flair. „Klare Linien kommen sicher nie aus der Mode“, denken vermutlich schon lange Wuppertaler Stadtplaner. „Architektur sollte die Historie der Stadt aufnehmen und vielfältig wie die Menschen selbst sein“, lautet das Credo in anderen Städten. Beides kann schön sein. Eines ist aber schöner!

Das Lübecker Gründungsviertel war seit dem Mittelalter von seiner Architektur geprägt. Die Kaufmannshäuser um den Markt bildeten trotz ihrer Verschiedenheit eine Einheit. Im Krieg dann wurden sie stark zerstört, aber ihre Geschichte soll damit nicht zu Ende sein. Lübeck rief einen Architektur-Wettbewerb aus. Das Ziel: eine ganze Straße soll wieder bebaut werden mit Häusern im traditionellen hanseatischen Stil, der aber in der Gegenwart angekommen ist. Die Bauwerke müssen zusammenpassen, doch keines darf wie das andere aussehen. Harmonische Vielfalt und Besinnung auf die bauliche Tradition der Stadt. Damit die Stadt Lübeck so vielfältig wird wie die Menschen, die in ihr leben. Leben ist auch die Funktion, die die Häuser erfüllen sollen. 20.000 Quadratmeter umfasst das Areal. Auf 40 Einzelgrundstücken sollen Wohnhäuser mit kleinen Geschäften im Erdgeschoss entstehen. So werden neue Geschäfte in der Innenstadt angesiedelt, gleichzeitig wird attraktiver Wohnraum geschaffen, der Lübeck auch außerhalb der Ladenöffnungszeiten mit Leben erfüllt.

Im Westen

Eine Stadt wird von vielen Dingen geprägt: von ihrer Geographie und Historie, den Menschen und von Städteplanung. Pläne gibt es in Wuppertal zum Glück jede Menge. Ein ganzes Tal voller Ideen findet man hier! Wuppertaler Stadtplaner gestalten nachhaltig unser Leben. Und wie gut sie das machen! Um neue Ecken der eigenen Stadt kennenzulernen, sich neue Wege zu erschließen und die Menschen anzuregen, sich ihre Umgebung zu erlaufen, gibt es immer wieder aufs Neue überraschende Straßensperrungen, Umleitungen und umgekehrte Einbahnstraßen. Ich finde das großartig! Die Stadt ist jeden Tag eine andere, sie wird zu einem Abenteuer. Wie komme ich ohne Unterführung zum Bahnhof? Wo fahren eigentlich die Busse jetzt ab? Welche Ampel ist heute abgeschaltet, welcher Fahrradweg spontan zum Fußweg umgewidmet? Sobald wir vor die Türe treten, erwartet uns eine neue Herausforderung. All die Baustellen zeigen unser Potential auf. Sie lassen eine noch zu erträumende Utopie der Stadt erahnen. Zwischen Wuppertaler Baustellen finden sich immer wieder auch Häuser. Gerade die schönen Altbauten prägen in einigen Vierteln das Bild der Stadt. Auch die Altbauten, deren prachtvollste Zeiten schon etwas zurückliegen, haben ihren Charme; mitunter einen der morbiden Art. Sie erzählen von den großen Tagen der Stadt, und viele von ihnen könnten ganze Geschichtsbücher füllen, könnten ihre Wände denn sprechen.

Farbkonzept

Stadtplaner kümmern sich nur am Rande um solche Betonperlen. Sie haben neue Pläne und verfolgen, so scheint es, ein durchkomponiertes Farbkonzept in Wuppertal.
Von Steingrau über Mausgrau, Basalt, Beigegrau und Blaugrau, Aschgrau, Eisgrau und über Silbergrau und Taube, Nebel, Zinngrau und Geistgrau bis hin zu Anthrazit. Die Farbpalette unserer Stadt ist schier unermesslich und doch Ton in Ton.
Puristen wie ich sind begeistert: Es gibt Beton zu sehen, Stahl, viel Glas und wabenartige Strukturen. Gerade Säulen ragen senkrecht in den Himmel, und werden im rechten Winkel von weiteren Linien gekreuzt. In den entstehenden Freiräumen sind große Fenster in dunkle Stahlrahmen gefasst. Schnörkellos und ohne Kitsch, mit geometrischer Exaktheit überzeugt der Gebäudekomplex an der Ohligsmühle. Er erscheint wie aus einem Guss gemacht, denn die Architekten haben sogar darauf geachtet, Fugen zu reduzieren. Das ist irrsinnig gescheit. Jede Hausfrau und jeder Hausmann weiß, wie sehr sich in Fugen der Dreck sammelt.
Ich hörte zum Gebäudekomplex Ohligsmühle schon Stimmen, die von „NS-Bau“ sprachen. Das ist eine Verkennung der Tatsachen. Er ist vielmehr wunderschön: Seine Kühle drückt die Erhabenheit aus, die er verkörpert; die Zeitlosigkeit, für die er steht. Dass die Büros bisher nicht alle vermietet wurden, ist kein Manko, sondern Teil des Konzeptes. Dieses Gebäude steht für sich und braucht gar keine Nutzer. Im Gegenteil. Die offensichtlich leeren Büros verkörpern Leichtigkeit. Der Bau ruft zu uns herunter: „Ihr habt mich gemacht, aber ich brauche euch nicht! Ihr braucht mich schließlich auch nicht.“ Diese Strenge macht seine Ausstrahlung aus. Es braucht cojones etwas zu bauen, was niemand wirklich braucht. Wir bauen, weil wir es verdammt nochmal verdammt gut können! Das ist eine mutige Einstellung, der ich meinen ganzen Respekt zolle.
Vor allem, weil der Bau an der Ohligsmühle so facettenreich ist. Durch die asymmetrischen Säulen ändert sich die Fassadenfarbe mit dem Sonnenlicht und dem Einfallswinkel des Regens. Regelrecht verspielt wirkt die flügelartige Versetzung der einzelnen Gebäudeelemente. Die Perle an der Ohligsmühle, wie ich sie nennen möchte, sie fügt sich ganz wunderbar in das harmonische Bild so vieler anderer Bauten in Wuppertal ein. Und sie trifft damit den Zeitgeist. Wir sind nämlich modern. Und die Moderne hat nun wirklich keine Zeit, Rücksicht auf irgendwelche Befindlichkeiten der Bevölkerung zu nehmen. Wohnhäuser mit historischen Fassaden und kleinen Geschäften wie in Lübeck sind eine putzige Idee, aber doch kaum der modernen Arbeitswelt angemessen. Wir brauchen Büros für Yuppies und Existenzgründer, für Unternehmer, Hedgefonds-Manager und Workaholics. Um voranzukommen muss man schließlich arbeiten – und zwar in Büros. Und auf jeden Wuppertaler kommen gerade einmal 5,3 Quadratmeter Bürofläche, stellte der Büromarkt-Report 2011/2012 fest. Die armen Bielefelder müssen gar mit 3,4 Quadratmetern auskommen. Kein Wunder also, dass noch immer viele glauben, Bielefeld existiere gar nicht. Büros schaffen Arbeitsplätze. Also, mindestens schaffen sie Platz zum Arbeiten.

Grün

Doch ein Gebäude tanzte aus der Reihe, und leistete Widerstand gegen das ausgegebene Grau-Dogma: der 2005 fertiggestellte Neubau des Landgerichts auf dem Eiland der Wupper. Dabei fing er so gut an. Klare Linien, kühles Grau. Doch dann verpasste der Regen dem Bau bedauerlicherweise eine Farbnuance, die so gar nicht ins Konzept passte: GRÜN! Zwar wird Wuppertal gerne als grünste Stadt Deutschlands beworben, aber doch bitte nicht als grünlich-gräulicher Belag an unseren Neubauten! Das war so alles nicht vorgesehen. Zwischen weiß und schwarz ist ja alles erlaubt, das Grau sollte jedoch neutral bleiben – also ohne Farbstich. Das sieht einfach edler aus. Der Grünbelag des Landgerichts kam ziemlich überraschend. Weit entfernt von einem Gewässer stehend, nur ganz gelegentlichem Regen ausgesetzt, konnte man in Wuppertals tropisch-trockenem Klima nun wirklich nicht damit rechnen, dass ein Gebäude von Moosen und Regenwasser entstellt werden könnte. Schade. Zum Glück gibt es aber andere gelungene Bauten, und das Landgericht putzen wir bei Gelegenheit. Dann können wir auch gleich überprüfen, ob auch hier die Fugen amtlich reduziert worden sind.

2005 wurde der Neubau fertiggestellt. Er wurde für 30 Millionen Euro nach einem Entwurf des Düsseldorfer Architekturbüros HPP erbaut.

Regenbogen

Kommen wir noch kurz zurück zum Farbkonzept und dem Primus dieses Konzepts: den Büros an der Ohligsmühle. Im Kino feierte gerade „Fifty Shades of Grey“ Erfolge. 50 Grauschattierungen sind schon amtlich und, so zeigt es der Film, voll im Trend. Aber eigentlich, wenn man mal ganz ehrlich ist, sind 50 Grautöne etwas für Anfänger. Wir Wuppertaler können locker die doppelte Zahl an Grautönen aufzählen, allein schon, wenn wir eben jene Büros an der Ohligsmühle in wechselndem Licht betrachten. Von fast weiß bis fast schwarz sind sämtliche Farben des Regenbogens in den Wuppertaler Bauten der letzten und kommenden Jahre verbaut. Nun, es ist ein spezieller Regenbogen, wie diese Stadt eine spezielle ist. Ein Regenbogen aus einem der frühen Fred Astaire Filme, als die Bilder gerade laufen lernten. Damals in grauer Vorzeit.

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