Liebe Leserinnen und Leser,
der Mangel an Fachkräften ist ein mittlerweile viel beklagtes gesellschaftliches Problem. Es mangelt an Facharbeitern und Handwerkern. Es fehlt offenkundig an Menschen, die nicht nur mit dem Kopf arbeiten. Es fehlt an denen, die mit der Herz und Hand anpacken können und in der Lage sind, tatkräftig eine Idee oder eine Vision auch umzusetzen. Sie fehlen zunehmend in einer Gesellschaft, in der Luftschlösser und Karriereträume an die Stelle bodenständiger Realität getreten sind. Allzu viele vergessen, dass manch eine Karriere an dem einfachen Faktum scheitern wird, dass an der Spitze nicht nur Platz für einige Wenige ist, sondern dass dieser Weg auch hart erarbeitet sein will. Der Mangel an Fachkräften und Handwerkern ist deshalb vor allem auch ein Symptom für eine Gesellschaft, die den Boden unter den Füßen zu verlieren droht, weil immer mehr Einzelne ihre Bedürfnisse über die der Allgemeinheit stellen.
Auch die Kirche ist mittlerweile von einem tiefgreifenden Mangel an Fachkräften betroffen. Es ist sicher nicht so, dass es zu wenig Geweihte und Ungeweihte gibt, die ihren Dienst in der Kirche versehen. Das Handwerk der Verkündigung aber scheint nur ungenügend ausgeübt zu werden. Denn zur Verkündigung würde die Vermittlung der frohen Botschaft in die Welt von heute, in die konkrete gesellschaftliche Situation hinein gehören. Es gilt, Übersetzungsarbeit zu leisten, die alte Botschaft in eine neue Sprache zu kleiden.
Aber der Kirche mangelt es an Übersetzern. Sie sucht, wie es Matthias Dobrinski in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung vom 10. März 2014 anlässlich der Wahl des neuen Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz formuliert, nach einer neuen Sprachfähigkeit. Sie ist sprachlos geworden. Es mangelt ihr nicht an Worten. Aber sie erreicht die Menschen nicht mehr.
Das hat viele Ursachen. Eine liegt im Fehlen von Verkündern, die eine solide Theologie betreiben. Theologie ist mehr als das Abspulen auswendig gelernter Katechismussätze. Symptomatisch für eine solche Haltung ist ein aktuelles Interview der Passauer Presse mit dem neuen Bischof von Passau, Stefan Oster, über das katholisch.de am 28. Juni 2014 berichtete. Bischof Stefan Oster stellt darin zum Beispiel mit Blick auf die kirchliche Sexualmoral fest:
"Bloß weil eine glaubensloser werdende Welt anders denkt", müssten nicht die kirchlichen Normen zum menschlichen Zusammenleben geändert werden.
Das klingt ignorant, denn es ist nicht an einer Vermittlung zwischen Verkünder und Adressat interessiert. Der geistlose Buchstabe steht über dem Herzen aus Fleisch. Der Apostel Paulus, dessen Gedenktag die Kirche gemeinsam mit dem des Apostels Petrus am 29. Juni feiert, wird sich angesichts einer solchen Normfixierung wohl in seiner römischen Ruhestätte umdrehen. Nicht nur, dass er im 2. Korintherbrief darauf verweist, dass es der Buchstabe tötet, der Geist aber lebendig macht (vgl. 2 Korinther 3,6). Er mahnt auch im 1. Korintherbrief folgendes an:
Wenn ihr zusammenkommt, trägt jeder etwas bei: einer einen Psalm, ein anderer eine Lehre, der dritte eine Offenbarung; einer redet in Zungen, und ein anderer deutet es. Alles geschehe so, dass es aufbaut. Wenn man in Zungen reden will, so sollen es nur zwei tun, höchsten drei, und zwar einer nach dem andern; dann soll einer es auslegen. Wenn aber niemand es auslegen kann, soll auch keiner vor der Gemeinde so reden. Er soll es für sich selber tun und vor Gott. (1 Korinther 14,26-28)
Was hilft es also, wenn der neue Passauer Bischof für sich in dem bereits erwähnten Interview für sich in Anspruch nimmt, er vertrete den Glauben, wenn niemand da ist, der den Glauben an die vermitteln kann, die anders denken?
Eine weitere Ursache des Unvermögens, das Evangelium zeitgemäß zu verkünden, liegt in einer infantil gewordenen Kirchensprache, die sich in einem Billibullu ergötzt, das selbst die Besucher eines Kindergartengottesdienstes unterfordert. Der eigentlich gute als Korrelation bezeichnete Ansatz, Glaube und Leben miteinander in Verbindung zu setzen, scheitert meist an der völligen dafür aber um so erkennbareren Unkenntnis über die Lebenspraxis der Adressaten. Zahlreiche Radio- und Fernsehandachten kranken daran, wie zuletzt das in den sozialen Medien nicht umsonst spöttisch beachtete "Wort zum Sonntag" vom 14.6.2014 zeigte, in dem Verena Maria Kitz in der Halbzeitpause des Weltmeisterschaftsspiels England gegen Italien peinlich versuchte, den Seitenwechsel in der Art einer Kinderkatechese den erwachsenen Fußballfans moralisch näher zu bringen, dabei aber ein Beispiel bravourösen Scheiterns ablieferte. Symptomatisch war die Bitte am Anfang, nicht wegzulaufen. Wer so bittet, dem sind die Zuhörer wohl schon längst abhanden gekommen.
Nein, fachliches Selbstbewusstsein sieht anders aus. Fachmänner und -frauen wissen, was sie können. Und sie zeigen es voller Stolz. Zum Fach der Verkünder gehört auf der einen Seite ein solides theologisches Rüstzeug. Zu diesem Rüstzeug gehört aber nicht nur die Kenntnis der Lehre; auch das rhetorische Vermögen, es in Wort zu kleiden, die verständlich sind, weil sie mit Verstand gesprochen sind, muss vorhanden sein. Die rhetorisch und didaktisch notwendige Reduktion des Inhaltes des Verkündigung meint nicht seine Banalisierung. Theologie ist deshalb zuvorderst eine Denkweise, ein Interpretament der Welt, das sich - gerade weil die Welt sich stetig verändert - selbst immer wieder erneuern muss. Damit ist nicht die Preisgabe fundamentaler Inhalte gemeint. Wohl aber die Unterscheidung der Wahrheitswerte, die Kenntnis um die Hierarchie der Wahrheiten, vor allem aber die stetige Fortbildung der Sprachkenntnisse. Wer verkünden will, muss die Sprache der Menschen sprechen. Die Verkünder müssen die Sprache der Straße kennen. Sie müssen dem Volk auf Maul schauen - und dann die Botschaft in diese Sprache übersetzen.
Es ist sicher kein Zufall, dass die großen Verkünder der frühen Christenheit Fachkräfte und Handwerker waren. Petrus etwa war Fischer, Paulus Zeltmacher. Es waren bodenständige Leute, die wussten, wie das normale Leben geht. Es waren Menschen, die wussten, was sie taten. Sie waren keine Luftschlossbauer. Sie haben Theologie getrieben. Wer etwa die Paulusbriefe liest, wird erkennen, wie sehr der Zeltmacher argumentiert. Wo heute vorschnell Empathie vorgetäuscht wird, steht bei ihm die fundierte Auslegung des Wortes Gottes, die herausfordert.
Und genau das ist das, was heute fehlt: Die Herausforderung. Die Kirche fordert nicht mehr heraus. Ihr droht das schlimmste Schicksal, das Schicksal der Belanglosigkeit. Lohnt es sich für eine solche Kirche wirklich mit dem Leben einzutreten. Kann man sich mit Bischöfen identifizieren, die für sich in Anspruch nehmen, eine Weisheit gepachtet zu haben, die mit dem Leben der Menschen nichts mehr zu tun hat? Sprechen die Verkünderinnen oder Verkünder Worte, von denen man sagen kann, es seien Worte ewigen Lebens? Oder verhallen ihre Worte in der einem Geschwätz heiliger Koketterie, dessen Banalität sich aber schon bei oberflächlichem Hinsehen offenbart, weil ihm die theologische und lebenserfahrene Relevanz fehlt.
Aber es gibt einen Trost. In dem Evangelium, das am Tag des Hochfestes der hl. Apostel Petrus und Paulus verkündet wird, bekennt Petrus Jesus als Messias. Darauf antwortet Jesus ihm:
Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein. (Matthäus 16,17-19)
Leider lässt die Leseordnung, sicher in der guten Absicht, das Ansehen des Petrus an seinem Hochfest nicht zu sehr zu stören, die unmittelbar folgende Szene aus:
Von da an begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären, er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten vieles erleiden; er werde getötet werden, aber am dritten Tag werde er auferstehen. Da nahm ihn Petrus beiseite und machte ihm Vorwürfe; er sagte: Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen! Jesus aber wandte sich um und sagte zu Petrus: Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen. (Matthäus 16,20-23)
Das Messiasbekenntnis des eben noch so hoch gelobten entpuppt sich als noch oberflächlich. Er hat noch nicht verstanden, worin sich die Messianität zeigen wird. Er ist noch nicht so weit, wirklich zu verkünden. Aber er wird es werden. Er wird es, als er lernt, mit seinem Leben für die Botschaft einzustehen. Er wird es, als er merkt, dass das, was mit dem Mund verkündet, aus dem Herzen und dem Kopf kommen muss. Er wird es, als er am Pfingstfest vor den Menschen in Jerusalem das Evangeliums nicht nur verkündet, sondern auch theologisch begründet, in einer Sprache, die die Menschen verstehen (vgl. Apostelgeschichte 2,14-36), so dass es heißt:
Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz, und sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, Brüder? (Apostelgeschichte 2,37)
Das war kein Billibullu, das war Theologie - eine Verkündigung, die das Fragen weckt und kein Hohngelächter. Die Kirche hat lange genug Zeit gehabt, ihre Wunden zu lecken. Sie ist dazu da, Wunden zu heilen, heraus zu fordern, Fragen zu wecken. Wann, Herr, schickst Du endlich Arbeiter in den Weinberg, Arbeiter, die ihr Fach verstehen? Beter haben wir schon genug. Wir sind zu wenige. Wir brauchen Fachkräfte und Handwerker. Jetzt!
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Woche,
Ihr Dr. Werner Kleine, PR
Katholische Citykirche Wuppertal