Liebe Leserinnen und Leser,
selten verbreiteten sich Gerüchte schneller als in diesen Tagen. Was früher von Mund zu Ohr und von Mund zu Ohr geflüstert würde, das zwitschern heute die digitalen Spatzen aus dem virtuellen Äther in die Welt. Und wie es sich für ein Gerücht gehört, reicht es, dass es den Geruch des Möglichen verbreitet. Und dieser Geruch ist hartnäckig, denn das Mögliche ist beständiger als das Wahre. Wahr ist immer nur eine Möglichkeit, möglich aber ist vieles. Die Wahrheit zu finden, ist mühsam. Die Wahrheit ist scheu. Wer die Wahrheit sucht, muss Licht ins Dunkel bringen. Wahrheit braucht Aufklärung und Erkenntnis. Das Gerücht hingegen entlastet von den Anstrengungen der Wahrheitssuche, denn was viele gehört haben, muss doch irgendwie auch wahr sein. Der und die haben es doch auch schon gehört. Und so haftet der Geruch der Gerüchte lange in den Kleidern; gegen ihre Ausdünstungen, die schwer in der Welt liegen, kann sich der leichte und lichte Duft der Wahrheit nur schwer durchsetzen.
Gleichwohl lebt auch das Gerücht von der Lust der Wahrheitsfindung. Es verbreitet sich ja gerade aufgrund der Illusion, man würde etwas Wahres, was nur wenigen zugänglich ist, meist unter dem Siegel der Verschwiegenheit erfahren. Und weil man vor Stolz in den Kreis einiger weniger Eingeweihter zu gehören platzen könnte, muss man sich natürlich mitteilen. Der Stolz der so Illuminierten lebt ja davon, dass sie vor der Welt leuchten wollen. Die eigene Eitelkeit überstrahlt dabei die Frage, ob an einem Gerücht überhaupt etwas dran ist. Denn die Aufdeckung, dass an einem Gerücht nichts dran ist, würde doch bedeuten, dass man einer Illusion aufgesessen sei. Der Illuminierte würde sich als kleines Licht offenbaren, die Einweihung als Betrug. Zu einer solchen Selbsterkenntnis sind wohl nur wenige fähig. Und so weicht die scheue Wahrheit allzu oft der Lust an einer selbstreferentiellen Relevanz.
Das Phänomen ist ein allgemein menschliches. Aber gerade deshalb macht es auch vor den Gliedern der Kirche nicht halt. Man konnte es in den letzten Tagen wieder beobachten. Der Kölner Stadtanzeiger veröffentlichte am 19. Juni 2014 den Beitrag "Wunschliste mit Bitte um Beachtung". Darin geht es um die Kandidatenliste, die das Kölner Domkapitel mit Blick auf die anstehende Wahl des neuen Kölner Erzbischofs nach Rom geschickt hat. Natürlich weiß der Kölner Stadtanzeiger dem Hörensagen nach, welche Namen auf der Liste stehen sollen. Man habe das aus den berühmten "hochrangigen Kirchenkreisen" erfahren.
Die Frage, wer sich hinter diesen "hochrangigen Kirchenkreisen" verbirgt, ist eigentlich schnell geklärt. Eigentlich kann es nur das Domkapitel selbst sein, denn es ist zum Schweigen über die eigenen Beratungen verpflichtet. Außerhalb dieses hochrangigen Kirchenkreises weiß eigentlich niemand, welche Namen auf der Liste stehen. Und genau das ist das Problem: Entweder hat jemand aus dem Domkapitel selbst geredet - das wäre ein eklatanter, eigentlich unvorstellbarer Vertrauensbruch Außerdem ist das Domkapitel ja nur ein hochrangiger Kirchenkreis. Der Kölner Stadtanzeiger spricht aber im Plural von Kirchenkreisen. Oder aber, jemand aus der Nähe des Domkapitels, wollte endlich einmal wichtig sein - das ist sicher denkbar, wirft aber ein zweifelhaftes Licht auf solche Persönlichkeiten, wenn es sie denn gibt. Oder jemand hat Stimmen gehört und weiter erzählt. Die willfährige Presse, deren wirtschaftliches Überleben an Auflagenzahlen hängt, was bisweilen das Ideal eines investigativen Journalismus in den Hintergrund treten lässt, liebt solche Gerüchte. "Hochrangige Kirchenkreise" sind immer gut, denn auch nach den großen Krisen der letzten Jahre scheint es doch noch eine Grundglaubwürdigkeit zu geben, die man diesen Kreisen, die man sonst auch gerne einmal vor das Scherbengericht der medialen Öffentlichkeit zerrt, zugesteht.
Wie auch immer das Gerücht in die Welt kam - es wurde, bevor man es druckte, hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Geflüstert, gewispert, getuschelt kam es irgendwie an das Ohr des Redakteurs, der natürlich mit Verweis auf die Quelle nicht mehr nachfragen musste - Insiderwissen halt. Und so konnte er nicht anders als seiner Chronistenpflicht zu genügen.
Die Chronistenpflicht ist die am meisten bemühte Pflicht von Journalisten. Sie hatten Wissen erlangt und sind es der Öffentlichkeit schuldig darüber zu berichten. Dass Chronisten nur Tatsachen berichten sollten, wird dabei gelinde übergangen. Der Leser hingegen verlässt sich auf den Chronisten. Und so verbreitete sich die Nachricht von der angeblichen Namensliste rasant über die sozialen Netzwerke. Auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche sowie Katholikinnen und Katholiken hatten wohl den Eindruck, etwas geradezu Sensationelles erfahren zu haben. Und so wurde der Mangel, dass das, was doch schon in der Welt war, aber offenkundig noch nicht von allen gesagt wurde, schnell behoben. Allein die Frage der Fragen, ob die "hochrangigen Kirchenkreise" wirklich existieren, wurde immer noch nicht beantwortet.
Es ist manchmal erschreckend, wie sehr die Leseordnung der katholischen Kirche die Ereignisse der Weltenläufte voraussieht. So eröffnet die erste Lesung des 12. Sonntags im Jahreskreis des Lesejahres A mit den Worten:
Ich hörte das Flüstern der Vielen. (Jeremia 20,10)
führt dann fort:
Grauen ringsum! Zeit ihn an! Wir wollen ihn anzeigen. Meine nächsten Bekannten warten alle darauf, dass ich stürze. Vielleicht lässt er sich betören, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen. (ebd.)
Der Prophet kennt das wahre Gesicht des Gerüchts. Gerade weil es das Licht der Wahrheit scheut, wird es nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert. Und gerade deshalb ist es zerstörerisch. Das Gerücht verbreitet keinen Duft; es stinkt. Das Gerücht will nichts Gutes. Das Gerücht liebt die Dunkelheit. Es verdunkelt, wo Erhellung notwendig wäre.
Wie anders sollten gerade die Jüngerinnen und Jünger Jesu vorgehen. So heißt es im Evangelium vom 12. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A:
Fürchtet euch nicht vor den Menschen! Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird. (Matthäus 10,26)
Das allein könnte noch auf ein Gerücht zutreffen, wäre da nicht der unmittelbar folgende Auftrag Jesu:
Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern. (Matthäus 10,27)
Es geziemt sich nicht für die Jüngerinnen und Jünger Jesu, zu tuscheln, zu wispern und zu flüstern. Ihr Gestus ist die öffentliche Verkündigung. Das Gerücht ist keine Sache derer, die Jesus nachfolgen; ihre Sache ist die offene und öffentliche Verkündigung, die Aufdeckung, die Aufklärung. Am offenen Wort kann man sie erkennen, nicht an der sensationsüsternen und aufmerksamkeitsgeilen Gerüchtemacherei.
Aber der Hinweis Jesu wirft noch ein Licht auf den Zustand der Kirche in dieser Zeit. Was zu verkünden ist, ist das, was er sagt. Er selbst ist die Botschaft, die furchtlos zu bekennen ist:
Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen. (Matthäus 10,32f)
So wie die Ausdünstungen eines Gerüchtes den Blick auf die Wahrheit verschleiern und den Verstand vernebeln, so verstellen alle die, die sich an den gegenwärtigen Bischofs-Bingos in den deutschen Bistümern beteiligen, den Blick für das Wesentliche. Das Haupt der Kirche ist Christus allein. Ihn gilt es zu verkünden. Bischöfe sind ganz sicher nicht unwichtig, das Wesen der Kirche aber sind sie nicht. Der Leib Christi gerät aus dem Blick, wenn man nur auf die einzelnen wenigen Bischofsglieder schaut. Sie allein halten den Leib Christi nicht lebendig!
Die Diskussion um Bischofswahlen sind lustvoll. Jetzt schon ist absehbar, dass es viel zu diskutieren geben wird. Allein: deswegen wird das Evangelium noch nicht in der Welt verkündet. Und so stellen allzu viele den Bischof in eine Mitte, die doch allein dem lebendigen Wort Gottes gehört. Bei allem Respekt: das ist auch für einen Bischof zu viel der Ehre!
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Woche,
Ihr Dr. Werner Kleine, PR
Katholische Citykirche Wuppertal